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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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Heru war wahrscheinlich einen Stock tiefer und hielt vor Yadias Zimmer Wache, damit er nicht fliehen konnte. Im ganzen Gebäude war kein Laut zu hören, nur hin und wieder ein Tropfen, der sich von einer der Dachrinnen an der Rückwand des Gebäudes löste und mit einem kristallklaren Plopp auf dem Hofboden landete.
    Jana blieb vor der geschlossenen Tür zu Davids Zimmer stehen und atmete bewusst aus. Einen Moment lang überlegte sie kehrtzumachen. Sie hatte schreckliche Angst; ihre Knie fühlten sich ganz weich an. David würde sicher beunruhigt sein, wenn er sie in diesem Zustand sah.
    Falls er überhaupt noch da war.
    Mit einem tiefen Atemzug drückte Jana die bronzene Klinke nach unten. Die Tür schwang lautlos auf und Jana tat einen Schritt in den dämmrigen Raum, der leicht nach Aftershave und Tabak roch.
    »David«, flüsterte sie. »David, bist du da?«
    Im Bett, am anderen Ende des Zimmers, machte sie einen Umriss aus, der sich leicht bewegte.
    »Gott sei Dank«, murmelte sie.
    Sie versuchte, ihre Füße so leise wie möglich aufzusetzen und auch sonst keinen Lärm zu machen. Jetzt war sie nicht mehr so sicher, ob sie ihren Bruder wirklich wecken sollte. Sie wollte sich nur vergewissern, dass alles in Ordnung war. Dann würde sie in ihr Zimmer zurückgehen und sich auf eine lange schlaflose Nacht einstellen.
    Über Davids Bett befand sich ein schmales, hohes Fenster ohne Läden. Draußen war alles in fahlgelbes Mondlicht getaucht. Wie spät es wohl war? Jana hielt auf dem Nachttisch nach dem Wecker ihres Bruders Ausschau, einem alten eckigen Modell mit fluoreszierenden Zeigern. Er zeigte halb vier an. Halb vier Uhr nachts.
    Jana beugte sich über Davids Bett. Ihr Bruder drehte sich mit einem leisen Ächzen in ihre Richtung.
    In diesem Augenblick fiel das Mondlicht voll auf sein Gesicht. Es war schmerzverzerrt und mit Schweißperlen überzogen, manche so rund und dick wie richtige Perlen, die Lider waren dunkel angelaufen. Davids Atem ging stoßweise. Entsetzt sah Jana ihn an. »Was ist mit dir, David?« Ihre Stimme klang wie ein erstickter Schrei. »David, sag was!«
    Ihr Bruder machte die Augen auf und starrte sie an, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Seine Pupillen waren glasig und seine Lippen zu einem irren Grinsen verzogen, das Jana noch nie an ihm gesehen hatte.
    Vorsichtig strich sie mit der Hand über Davids kalte, feuchte Wange. »David, was hat er mit dir gemacht?«
    Unter der weißen Tagesdecke bildeten die Unterarme des Jungen ein umgekehrtes V. Aber etwas daran war seltsam. Am Ende des rechten Arms, ab der Höhe des Handgelenks, lag die Decke unnatürlich flach da.
    Dort war seine kranke Hand, die er sich bei seinem Kampf gegen Heru verletzt hatte. Niemand wusste, wie die Wunde verheilt war, nicht einmal Jana, denn David achtete immer peinlich genau darauf, sie unter dem Handschuh zu verbergen.
    Aber jetzt … Jana blickte noch einmal zum Nachttisch, wo der Wecker stand. Neben dem alten Apparat lag ein Satinhandschuh. Es kam ihr seltsam vor, dass David ihn zum Schlafen ausgezogen hatte. Das machte er doch sonst nie.
    Vielleicht hatte sich die Narbe entzündet. Vielleicht hatte David Schmerzen. Das würde erklären, warum er den Handschuh abgenommen hatte.
    Mit zitternden Händen zog Jana die Tagesdecke und das Oberlaken zurück.
    David trug einen schwarzen Pyjama. Die eine Hand, blass wie eine Winterblume, lag locker auf seiner Brust. Die andere …
    Die andere war einfach nicht da.
    Jana starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Stelle, wo die Hand hätte sein müssen. Aber es war nicht nur so, dass da etwas fehlte, nein, da war auch etwas, das da gar nicht hingehörte. Da war … eine Leere, so bodenlos und gruselig wie ein schwarzes Loch.
    Jana hätte nie im Leben geglaubt, dass es so eine Leere wirklich geben könnte. In ihrer Kindheit hatte sie viele Geschichten über Medu gehört, die einen Zusammenstoß mit einem der Unsterblichen überlebt hatten. Die Wunden, die sie davontrugen, entsprachen exakt der Beschreibung dessen, was sie jetzt sah: Es waren Ritzen in der Wirklichkeit, durch die man einen Blick ins Nichts werfen konnte.
    Was jedoch nie jemand erwähnt hatte und wovon sie auch sonst nie gehört hatte, war, dass diese Ritzen eine hypnotisierende Wirkung auf denjenigen ausüben konnten, der sie betrachtete.
    Davids Brust hob und senkte sich schnell, im Rhythmus seiner schweren Atmung. Janas Blick wanderte über sein Gesicht: Seine Augen waren wie zwei schwarze Tunnel, in denen ein

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