Illusion - das Zeichen der Nacht
ausgelassen.«
Corvino nahm den Nudeltopf vom Feuer und begann, das Wasser vorsichtig durch das Sieb abzugießen. »Ich dachte, das hätte Nieve dir erzählt. Heru hat sich in unser altes Refugium zurückgezogen. Er hat es nicht gerade leicht und wollte allein sein.«
»Vielleicht fand er euren Deal mit Glaukos nicht gut«, spekulierte Jana.
»Vielleicht.« Corvino wandte sich langsam seiner Soße zu und begann, wieder mit dem Kochlöffel zu rühren. »Aber es ist nicht nur das, es ist auch alles andere. Wir waren unsterblich, Jana. Es ist verständlich, dass ihm die Umstellung zu schaffen macht. Wir hätten nie gedacht, dass … dass wir je wieder sein würden wie alle anderen Menschen.«
»Du scheinst dich aber ziemlich gut arrangiert zu haben.«
Corvino drehte sich kurz zu ihr um. Dann griff er ins Salzfass und streute noch etwas Salz in die Soße. »Bei mir liegt die Sache anders.«
Jana fragte sich, was er damit sagen wollte. Im Grunde konnte sie es sich allerdings denken. »Klar. Du hast Nieve.«
Sie bemerkte, wie Corvino zusammenfuhr. Die Hand mit dem Kochlöffel hing reglos in der Luft. »Niemand kann Nieve haben«, lautete seine rätselhafte Antwort. Dann drehte er sich ganz zu ihr um und richtete die Augen auf Jana, ruhig und unergründlich. »Aber es stimmt schon, ohne sie wäre für mich alles schwieriger. Sogar mit ihr ist es nicht leicht.«
Jana nickte, wobei sie sich ein Grinsen verkneifen musste. Die Naivität der Wächter überraschte sie immer wieder. Nieve wie auch Corvino benahmen sich manchmal wie Kinder, vor allem wenn jemand sich für ihre Gefühle interessierte. Es war unglaublich, dass sie im Laufe ihres jahrhundertelangen Lebens nicht gelernt hatten, mit etwas so Einfachem wie Lust oder Liebe klarzukommen. Vielleicht hatten sie sich so weit von ihrem ursprünglichen Menschsein entfernt, dass sie irgendwann vergessen hatten, wie gewöhnliche Menschen empfanden. Erst jetzt, nach dem Verlust der Magie, die sie unsterblich gemacht hatte, erlebten sie wieder dieselben Gefühle wie alle anderen. Und alles war ihnen so neu, dass es ihnen Angst machte.
»Weißt du, sie braucht dich auch.« Jana trat neben Corvino und nahm ihm den Kochlöffel aus der Hand, um die Soße zu probieren. »Hmm, köstlich. Du hast ein Händchen fürs Kochen.«
Es kam ihr so vor, als würden Corvinos dunkle Wangen leicht erröten – eine Reaktion, die nichts mit dem Kompliment zu tun hatte, das er gerade für seine Kochkünste bekommen hatte.
»Wenn du Argo sehen willst, musst du nur in sein Zimmer gehen.« Er konzentrierte sich wieder auf die heiße Pfanne und wich damit ihrem prüfenden Blick aus. »Es ist oben, die letzte Tür. Sie ist nicht abgeschlossen, aber klopf bitte an. Und wenn er dich nicht sehen will, akzeptier das. Ihm bleibt nur noch wenig Zeit und es ist das Mindeste, dass wir es ihm überlassen, was er damit machen will. Natürlich nur, so lange er die anderen nicht in Gefahr bringt.«
—
»Argo, ich bin’s, Jana. Kann ich mit dir reden?«
Jana hatte das Gefühl, eine Ewigkeit vor der geschlossenen Tür zu warten, ehe der Wächter reagierte.
»Herein«, ertönte schließlich eine altersschwache Stimme hinter der Tür. »Willkommen in meinem bescheidenen …«
Ein Hustenanfall unterbrach die ironische Begrüßung des Wächters.
Da stand Jana bereits im Raum und staunte mit offenem Mund über die prächtigen Möbel und die Gemälde und Regale an den Wänden. Das hier entsprach ganz und gar nicht ihrer Vorstellung von einer Zelle. Es war aber auch kein einfaches Zimmer, sondern eine großzügige Kombination aus Salon und Bibliothek mit einem breiten Balkon zum Canal Grande und einer beeindruckenden Vielfalt von Antiquitäten und Kuriositäten auf verschiedenen Tischen und in Vitrinen. Ein richtiges Museum, aber mit einem persönlichen Touch, den solche Orte sonst nie hatten. Man merkte, dass es beim Einrichten dieses Raumes darum gegangen war, dass sein Bewohner sich darin wohlfühlen sollte, bis ins letzte Detail. Nieve und Corvino waren immer wieder für eine Überraschung gut.
»Lass dich nicht vom Schein trügen.« Argo erhob sich mühsam aus seinem Ledersessel. »Das hier ist ein Gefängnis, auch wenn sie es noch so gut kaschieren. Im Palast kann ich mich frei bewegen, aber ich darf ihn nicht verlassen. Und Besuch müssen sie erst genehmigen. Du hast doch um Erlaubnis gefragt, oder?«
»Ja, Corvino weiß Bescheid.« Jana machte ein paar Schritte auf den Wächter zu und blieb dann
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