Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
Vom Netzwerk:
könnte ausreichen, um eine entsprechende Vision auszulösen.«
    »Ach komm, Alex«, unterbrach Jana ihn mit einem strengen Blick. »Wir stammen beide von den Kurilen ab. Unsere Visionen bedeuten immer etwas, auch wenn wir nicht genau wissen, was.«

Kapitel 16
    I m Bad zog Jana eine Nagelschere aus ihrem Kulturbeutel und betrachtete sie einige Augenblicke nachdenklich, dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Sie hatte das Fenster einen Spalt geöffnet, damit die feuchte Nachtluft den aufgeheizten Raum abkühlen konnte. Direkt vor den sich sanft bauschenden Gardinen saß Alex wartend auf dem Teppich.
    Jana warf einen Blick auf die Lampe am Frisiertisch, die einzige, die sie hatte brennen lassen. Sie strahlte samtweiches Licht aus, genau richtig für das Ritual, das sie gleich durchführen wollte. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen vor Alex und streckte die Hand nach seinen Haaren aus.
    Er sah sie überrascht an. »Was …?«
    Noch bevor er weitersprechen konnte, hatte Jana nach einer seiner blonden Strähnen gegriffen und sie mit der kleinen Schere abgeschnitten. Sie drückte sie an die Handfläche, fasste sich mit Daumen und Zeigefinger ins eigene Haar und trennte eine Korkenzieherlocke ab.
    »Etwas von dir und etwas von mir«, sagte sie, Alex fest im Blick.
    Dann breitete sie die Arme aus und öffnete die Hände. In der linken lag Alex’ Strähne, blond und glatt, in der rechten kringelte sich ihre eigene Locke, lang und dunkel.
    Jana ballte die Hände zu Fäusten und begann, mit gesenkten Lidern die alte, lange Anrufungsformel aufzusagen. Der Rhythmus der Worte half ihr, sich bald ganz auf das Ritual zu konzentrieren und Alex vollkommen zu vergessen. Ihr Zeitgefühl kam ihr abhanden; es war, als trage ihre eigene Stimme sie durch die Jahrhunderte in weit zurückliegende Zeiten, lange vor ihrer eigenen Geburt und vor der aller Medu.
    Plötzlich spürte sie an der Stelle, wo die beiden Haarsträhnen ihre Haut berührten, Hitze und Schmerz. Das riss sie aus ihrer Trance, und als sie die Hände öffnete, sah sie, dass die beiden Strähnen auf ganz unterschiedliche Weise zu brennen begonnen hatten: Von ihrer eigenen Locke züngelte eine weiße, hell leuchtende Flamme nach oben, Alex’ Haar hingegen loderte dunkel wie ein schwarzer, undurchdringlicher Schatten.
    »Licht und Schatten«, sagte sie und musste bei diesen Worten an die heiligen Beschwörungsformeln der Agmar denken. »Licht und Schatten …«
    Die beiden Feuer, das helle und das dunkle, brannten gleichzeitig herunter und hinterließen auf jeder Handfläche eine kleine Pyramide aus Asche, eine silbrige von ihrem eigenen Haar, die andere schwarz wie Ruß. Vorsichtig legte Jana die Hände zusammen und rieb sie aneinander, bis die beiden Häufchen sich vermengt hatten.
    Sie kippte die Mischung in die linke Hand und tippte mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand hinein. »Schließ die Augen«, sagte sie zu Alex.
    Der tat wie geheißen. Jana malte ihm mit der Asche eine stilisierte Figur ins Gesicht. Erst während des Zeichnens begriff sie, dass es ein Vogel werden würde. Ein Ibis. Sein langer Hals zog sich senkrecht über Alex’ rechtes Lid.
    »Jetzt bist du dran«, sagte sie, als sie fertig war. »Du musst etwas auf mein Gesicht malen.«
    Alex sah sie verwirrt an. »Wie soll das gehen, ich weiß doch gar nicht …«
    »Lass dich von deiner Hand führen. Die Asche wird ihr sagen, was sie malen soll. Du musst sie nur machen lassen.«
    Jana schloss die Augen und erschauerte, als sie spürte, wie Alex’ Finger von ihrer Stirn zu ihrem Mundwinkel hinabglitten. Ihr rechtes Lid flatterte unter dem Gewicht der Asche. Alex hatte auf ihre rechte Gesichtshälfte ein Henkelkreuz gemalt – sie brauchte nicht in den Spiegel zu sehen, um das zu wissen.
    »Der Ibis und das Anch«, sagte sie. Ihre Stimme klang weit weg und melodiös, als wäre es gar nicht ihre eigene. »Wir sind bereit.«
    Sie ließ die übrige Asche auf den Boden rieseln und streckte beide Arme aus, um nach Alex’ Händen zu greifen. Bevor sie die Augen schloss, verband sie sich auch noch in einem langen Blick mit ihm. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie hoffte inständig, dass sie zusammen reisen würden, dass die Vision sie beide an denselben Ort führen würde. Das war Sinn und Zweck der Anrufung, die sie gerade durchgeführt hatte: ihre Seelen zu verbinden, damit nichts und niemand sie bei ihrem Abstieg in die Welt der Schatten trennen konnte, wo die Wirklichkeit sich unter der Maske eines

Weitere Kostenlose Bücher