Illusion - das Zeichen der Nacht
wurden, dazwischen dichte Vegetation. Ein wunderschöner Ort zum Leben, sagte sich Alex ein wenig melancholisch.
Als sie zu einem Abschnitt kamen, wo die Kurven ganz eng wurden und man kaum noch Sicht hatte, verlangsamte das Taxi die Fahrt. Es ging ein sanfter Wind und die schlanken Baumwipfel wiegten sich über dem dunklen Asphalt der Straße. Nach der letzten Kurve lichtete sich der Wald und gab den Blick auf ein weißes Gebäude mit eleganten Säulen an der Fassade frei, rings herum ein französischer Garten mit Springbrunnen, deren gleichmäßig sprudelnde Fontänen das Anwesen belebten.
Als der Taxifahrer die Villa sah, bremste er so heftig, dass Davids Kopf beinahe gegen die vordere Kopfstütze geprallt wäre.
»Das hier ist die versiffte Ruine, die Sie erwähnt haben?« Diese Spitze konnte Alex sich nicht verkneifen, dabei starrte er dem Taxifahrer mit spöttischen Augen auf seine Haarpracht.
»Das … das verstehe ich nicht«, stammelte der Mann. »Sie … Ich weiß gar nicht, wann das restauriert worden sein soll …«
Die Straße führte durch zwei riesige schwarz-goldene schmiedeeiserne Tore auf das Grundstück, aber der Taxifahrer schien nicht bereit zu sein hineinzufahren.
»Ich setze Sie lieber hier ab, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er entschuldigend. »Dafür erlasse ich Ihnen den Bahnhofszuschlag.«
David reichte ihm von hinten den Betrag, den das Taxameter anzeigte. Nachdem er das Wechselgeld entgegengenommen hatte, gab er dem Taxifahrer mit der Handschuhhand zwei Münzen als Trinkgeld. Bevor er sie zurückzog, klopfte er ihm damit zum Abschied leicht auf die Schulter. »Viel Glück, mein Lieber«, sagte er freundschaftlich.
Der Mann drehte sich überrascht um. Alex musste sich das Lachen verkneifen, als er den kleinen pechschwarzen Fleck sah, den Davids Handschuh im Nacken des Mannes hinterlassen hatte. Ein Tattoo. Seine Ranken breiteten sich schnell durch das Haar des Taxifahrers aus und verliehen ihm ein ziemlich extravagantes Aussehen.
Die beiden Jungen stiegen aus dem Wagen und beobachteten, wie er wendete und davonfuhr. Dann sahen sie sich an und lachten. Der Taxifahrer hatte nichts gemerkt.
»In ein paar Tagen geht es von allein wieder weg.« David drehte sich auf den Absätzen zum schmiedeeisernen Tor der Villa um. »Vielleicht lehrt es ihn, weniger eitel zu sein.«
»Ich dachte, du könntest mit deiner rechten Hand gar nicht mehr tätowieren.«
»Kann ich auch nicht. Was ich gerade gemacht habe, war kein echtes magisches Tattoo, sondern nur einer der kleinen Tricks, die den Menschen in letzter Zeit so gefallen. Keine Bange, er ist absolut harmlos.«
Nebeneinander gingen sie den Kiesweg entlang, der zum Haupteingang des Palazzo führte. Keiner von beiden konnte sich sattsehen an all den Säulen, Friesen, Bögen und Fenstern, die an der Fassade aufs Harmonischste kombiniert waren.
Als sie sich nur noch etwa zwanzig Schritte von der Marmortreppe entfernt befanden, die zur Villa hinaufführte, öffnete sich das wunderschöne Holzportal und auf der Schwelle tauchte Armand auf, ein Lächeln im Gesicht.
Beide Arme zum Zeichen des Willkommens ausgestreckt, beobachtete er stumm, wie die Neuankömmlinge hastig die Treppe hinaufstiegen. »Wo ist das Mädchen?«, fragte er dann, seine warmen blauen Augen auf Alex gerichtet. »Ist sie abgesprungen?«
»Ich bin für sie gekommen. Ich bin ihr Bruder«, stellte David sich vor und schüttelte ungezwungen die Hand, die Armand ihm hinhielt, und zwar mit seiner Rechten, der Hand mit dem Handschuh. »Keine Sorge, ich weiß genauso viel wie sie über die Sache – oder sogar ein bisschen mehr.«
Armand nickte mit einem erfreuten Lächeln. Davids Antwort schien ihn nicht im Geringsten zu überraschen. Wie gewöhnlich war er tadellos gekleidet, diesmal trug er allerdings nicht seinen Magiersmoking, sondern einen grau melierten Anzug und ein modernes weißes Hemd. Es hatte den Anschein, als hätte er sie erwartet. »Du bist also David, der Bruder von Prinzessin Jana.« Er trat beiseite, damit seine Gäste die dämmrige Eingangshalle betreten konnten. »Es schmeichelt mir, so hohen Besuch zu bekommen, das muss ich schon zugeben.«
Seine Augen prüften spielerisch Alex’ Reaktion auf diese Worte und hefteten sich dann wieder ernster und nachdenklicher auf David. »Folgt mir, wenn ich bitten darf.« Er führte sie in den rechten Flügel des Palazzo. »Ihr seid bestimmt müde von der Fahrt. Seid ihr im Zug von Venedig gekommen? Eine unbequeme
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