Illusion - das Zeichen der Nacht
erzählen. Was wisst ihr über die Dajedi?«
David setzte an: »Das war eine alte Kurilen-Familie, die im 15. Jahrhundert in Venedig ziemlich viel Einfluss hatte. Der Palazzo, wo meine Schwester dein Video fand, hat früher ihnen gehört. Das weiß ich aus einem alten Manuskript aus der Bibliothek von Pertinax, die jetzt vom Agmar-Rat verwaltet wird. Viel mehr stand da leider nicht drin.«
»Und du hast nicht weitergeforscht?«, fragte Armand erstaunt. »Du hättest direkt zu Pertinax gehen sollen. Er hätte dir noch viel mehr über das Geschlecht der Dajedi erzählen können. Durch den Tod seiner Töchter hat sein Verstand zwar gelitten, aber er ist nach wie vor ein großer Gelehrter und der beste Experte in Medu-Geschichte, den es heutzutage gibt.«
Diese überraschende Abschweifung über das ehemalige Oberhaupt der Agmar brachte Alex und David dazu, Armand verwundert anzusehen.
»Und darf man erfahren, woher zum Teufel du das weißt?«, fragte David erbost. »Du bist nur ein Mensch, es kann nicht sein, dass irgendein Medu dir freiwillig seine Geheimnisse anvertraut hat.«
Armand verzog das Gesicht. »Ich bin kein gewöhnlicher Mensch, sondern der verdiente Erbe eines mächtigen kurilischen Herrschaftsbereichs. Das verschafft mir natürlich Zugang zu gewissen Informationen und zu gewissen Leuten, die nicht jeder hat. Ich gebe zu, ich habe Pertinax nie persönlich getroffen, aber ich habe einige seiner Schriften über Anrufungsrituale gelesen. Und ich habe gehört, dass der arme Mann am Boden zerstört ist, seit seine Töchter verunglückt sind.«
Bei diesen Worten sah er David arglistig an. Dieser reagierte sofort. »Wenn du weißt, was mit seinen Töchtern passiert ist, verstehst du sicher auch, warum ich ihn nicht direkt fragen konnte. Pertinax gibt meiner Schwester und mir die Schuld an der ganzen Sache.«
»Ganz zu Recht, wenn ich mich nicht täusche. Aber Pertinax ist jetzt auch kein freier Mann mehr. Sein Verrat an Jana wurde von den Richtern eures Klans streng geahndet, und wenn ich richtig weiß, wurde er in ein magisches Gefängnis gesteckt.«
»Um ihn zu besuchen, hätte ich eine Sondergenehmigung beim Rat einholen müssen und dafür hätte ich jede Menge Fragen beantworten müssen«, bestätigte David ungeduldig. »Außerdem wäre es sicher Zeitverschwendung gewesen. Pertinax mag ja viel über die Dajedi wissen, aber irgendetwas sagt mir, dass du noch viel mehr weißt.«
Armands Gesicht verzog sich wieder zu seinem breiten Bühnenlächeln. »Da liegst du gar nicht so falsch«, sagte er. »Bei der Restaurierung dieses Palazzo habe ich eine unerwartete Entdeckung gemacht. In der Bibliothek gab es Fresken an der Wand – Renato Dajedis Geschichte in Bildern. Sie waren so beschädigt und verschmutzt, dass man überhaupt nichts mehr erkennen konnte. Es war schwierig, ihnen ihre ursprünglichen Farben wiederzugeben, aber die Mühe hat sich gelohnt. Wollt ihr sie sehen?«
Alex deutete ein Achselzucken an. »Das ist bestimmt interessant, aber ich erinnere dich daran, dass wir nicht hergekommen sind, um irgendwelche Fresken zu bewundern, sondern das Buch zu suchen«, erwiderte er ungerührt.
»Was soll’s, Alex, sei kein Spielverderber«, protestierte David mit leuchtenden Augen. »Für die Kunst ist immer genug Zeit oder zumindest sollte es so sein. Außerdem sind die Fresken ja in der Bibliothek, dann sehen wir sie wahrscheinlich sowieso, wenn Armand uns das Buch zeigt.«
»Dajedis Buch befindet sich nicht in der Bibliothek.« Armands Miene war plötzlich ernst. »Sagen wir mal so: Es ist kein gewöhnliches Buch. Und bevor ich es euch zeigen kann, muss ich euch darauf vorbereiten. Und dazu müsst ihr diese Fresken sehen. Sie werden euch helfen zu verstehen, wie das Buch entstanden ist.«
Mit diesen Worten öffnete Armand die prächtige vergoldete Kassettentür und ließ seinen Besuchern den Vortritt. Dahinter tat sich ein fünfeckiger Raum auf, dessen Wände bis auf eine mit alten Mahagoniregalen voller Bücher bedeckt waren. Es roch nach Staub, altem Leder und nach Farbe, als wäre die Restaurierung der Fresken noch nicht lange abgeschlossen.
Alex ging staunend auf die freie Wand zu. Rings um ein großes Fenster herum waren farbenprächtige Szenen angeordnet wie die Felder eines mittelalterlichen Kirchenfensters, die obersten drei über dem Fenster, die restlichen vier in zwei Reihen links und rechts davon.
Schon nach wenigen Sekunden merkte der Junge, dass etwas mit den Malereien nicht
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