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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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stimmte. Wenn er genau hinsah, kam es ihm vor, als wären die abgebildeten Figuren lebendig, als würden sie sich bewegen, wenn auch viel langsamer als in der wirklichen Welt.
    »Das ist ja unglaublich«, hörte er David hinter sich flüstern. »Ich habe mal gelesen, früher hätte es in den Klanen Künstler gegeben, die dynamische Bilder malen konnten, aber das hier sind die ersten, die ich sehe.«
    »Manchmal denke ich, ich sollte diese Wunderwerke für Touristen zugänglich machen, gegen Eintritt natürlich«, sagte Armand erfreut. »Aber wahrscheinlich hat mich der Reichtum egoistisch gemacht. Ich kann der Vorstellung, meine Schätze mit ganz gewöhnlichen Leuten zu teilen, nicht viel abgewinnen.«
    »Woher weißt du, dass das Fresko Dajedis Geschichte darstellt?«, fragte Alex.
    Armand deutete auf die oberste Szene links, den Anfang der Sequenz. »Seht ihr den jungen Mann mit dem dunklen Haar und dem blauen Umhang? Er trägt auf dem Handrücken ein goldenes Zeichen, ein Chamäleon mit Adlerkrallen. Das ist das Familientattoo der Dajedi.«
    Alex musterte die Gestalt mit offenem Mund. Der junge Mann stand inmitten einer Menschenmenge an der Brüstung einer Steinbrücke und betrachtete einen einzelnen goldenen Kahn auf dem blauen Wasser unter ihnen, der mit Blumen und bunten Teppichen geschmückt war. Offenbar war hier ein festliches Ereignis abgebildet, das im Venedig der Renaissance gefeiert wurde.
    »Anfangs war Renato Dajedi ein ganz normaler kurilischer Adliger am Hof von König Eo«, erklärte Armand, die Augen fest auf das Fresko geheftet. »Wie ihr bestimmt wisst, führte dieser Monarch, der letzte auf dem Thron der Medu, ein Doppelleben: Er unterhielt in Venedig einen geheimen Hof und lenkte im Verborgenen die Geschicke seines Volkes, während er in der Öffentlichkeit als führendes Mitglied des Großen Rats die Politik der Republik mitbestimmte.«
    Alex beobachtete verblüfft, wie König Eos zeremonielles Boot sanft durch das gemalte Wasser zu gleiten begann und weißen Schaum an die Ufer das Kanals spritzte. Das Boot drehte langsam ab, um sich einem gemauerten Anlegeplatz am rechten Ufer zu nähern. Es war, als wolle es den Blick der Zuschauer auf das nächste Bild lenken. Unwillkürlich verfolgte Alex den Weg des Boots und richtete den Blick dann auf die zweite Szene.
    Er wusste intuitiv, was sie bedeutete. Dieses gelbe, dämmrige Licht fing die Atmosphäre eines viel wärmeren Ortes ein als die der feuchtkalten, nebligen Lagunenstadt. Im Vordergrund war eine Gestalt von hinten zu sehen, die sich gegen eine hoch aufschießende weiße Flamme abzeichnete, und hinter der Flamme ragte eine hohe Wand voller Schatten auf, die im Rhythmus des flackernden Feuers frenetisch tanzten.
    »Der Wächter der Worte«, murmelte er. »Arawn …«
    »Ganz recht«, bestätigte Armand sofort. »Diese Tafel stellt den entscheidenden Moment in Dajedis Leben dar. Während er sich in der Kunst übte, auf dem Wind des Schicksals zu reiten, versetzte eine Vision ihn in die Vergangenheit, in den Moment, als Arawn das Buch der Schöpfung zu lesen versuchte, um die Medu endgültig zu vernichten. Da steht er, hinter dieser Säule. Seht ihr, wie seine Beine zittern? In dem Moment hätte er sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Aber irgendwann hatte er sich wieder so weit gefasst, dass er seine Angst überwand und sich auf die Schatten an der Wand konzentrierte. Renato Dajedis Gedächtnis war sehr gut trainiert. Die Kurilen wandten diese Kunst schon von klein auf an, um ihre Visionen zu steuern. Dajedi brauchte nur darauf zurückzugreifen, um sich die Symbole zu merken, die er zu sehen bekam. Die Schnelligkeit, mit der sie hin und her sprangen und von neuen abgelöst wurden, bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Er prägte sich alles ein, was das Feuer an die Wand warf. Bis noch jemand auftauchte. Der da.«
    Alex bekam eine Gänsehaut, als er auf der sorgfältig gemalten Freitreppe im Vordergrund der Szene eine geflügelte Gestalt landen sah. Auf ihren großen, im Wind ausgebreiteten Flügeln glitzerten Hunderte von Augen, jedes einzelne funkelte smaragdgrün. Argo. Es musste dieselbe Szene sein, die der verstorbene Wächter Jana in einer Vision hatte miterleben lassen.
    Mit theatralischer Geste deutete Armand auf das Fresko und wich ein paar Schritte zurück, als wolle er zu verstehen geben, dass das Gemälde sich selbst erklärte. Es war seltsam unheimlich, mit anzusehen, wie der Arawn auf dem Wandbild zu Argo schlich und ihn

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