Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
Lucy erkannte schimmernde Bilder im Gewebe des Stoffes. Sie leuchteten nur auf, wenn das spärliche Licht wie zufällig darüber strich und verborgene Silberfäden zum Schimmern brachte. Es handelte sich um Bilder von Drachen. Silberne Drachen, die über das ganze Tuch verteilt zu sehen waren. Sie flogen, sie wanden sich, sie ringelten sich umeinander. Hielten sich fest, bekämpften sich, spielten miteinander fangen. Sie spieen Feuer oder schliefen. Spreizten ihre Schwingen oder saßen auf Felsen, Burgen und Schlössern.
Lucy war wie verzaubert vom Anblick des Tuches. Sie ließ es über ihre Finger rieseln und sah dem Wind dabei zu, wie er damit spielte. Es war so leicht, dass es sich wie Rauch im Abendwind kräuselte.
Wozu es wohl gut ist, überlegte Lucy. Sie konnte sich nicht erinnern, es einmal an ihrer Mutter bemerkt zu haben. Es war groß genug, um sich von Kopf bis Fuß darin einhüllen zu können.
Die Prinzessin trat ins Zimmer zurück und an einen Spiegel, der vor dem Bett an der Wand hing.
Sie legte sich das Tuch um die Schultern und ... verschwand.
Es musste also aus demselben Material gewebt sein, wie die Tarndecke, nur viel feiner. Allerdings war das nicht alles. Als Lucy sich nun umsah, bemerkte sie eine deutliche Veränderung, die mit der Welt vor sich gegangen war.
Alles wirkte wie von einer strahlenden Aura eingefasst. Sie sah aus wie feingezackte Kronen, die alle Dinge umgaben. Und als Lucy ihren Blick in den Spiegel richtete, war das Zimmer verschwunden. Sie sah nun auf eine andere Welt. Nun ja, das Zimmer war eigentlich noch da, aber es sah gänzlich anders aus. Wesen waren zu sehen, die die Prinzessin nicht benennen konnte.
Als sie sich umdrehte, erblickte sie Schatten, die davonhuschten. Stimmen flüsterten, und vor den Fenstern waren Bewegungen zu erkennen.
Hastig riss Lucy sich das Tuch von den Schultern, und die Veränderungen verschwanden augenblicklich. Lucy atmete schwer. Was immer das Tuch ihr gezeigt hatte, es hatte ihr Angst gemacht. Und so lange sie nicht wusste, was das Tuch bewirkte, wollte sie es lieber unbenutzt lassen.
Sie faltete es wieder auf ein kleines Viereck zusammen und versteckte es unter ihrer Tunika.
*
Drago Gari und sein Bruder Orphem waren so unterschiedlich, wie zwei Brüder nur sein können. Der eine war in bunte Tücher gekleidet, und wie immer saß der kleine weiße Affe auf seiner Schulter, während der andere einen eher biederen Eindruck hinterließ. Der eine war Drehorgelspieler und Komödiant, der andere ein angesehener Schuhmacher hier in Yrismin. Nur eines war beiden gemein. Sie pflegten eine herzliche Gastfreundschaft. Orphems Frau hatte ein duftendes Abendmahl gezaubert und eilte mit strahlendem Lächeln von der Küche an den Tisch in der Stube und wieder zurück, um die verschiedensten Speisen zu servieren.
Dari schnupperte beigeistert. Lucy wollte gar nicht wissen, was die Lichtfee in Falgamond zu essen vorgesetzt bekommen hatte. Phela, Orphems Frau, hatte den Flügel der Lichtfee so gut sie konnte genäht. Dari hatte allen versichert, dass er schon von selbst wieder ausheilen würde. Trotzdem machte sie einen angeschlagenen Eindruck, genau wie die Prinzessin.
Die drei Bürger von Yrismin machten keinen Hehl daraus, die Lichtfee und die Prinzessin immer wieder mit erstaunten Augen anzusehen. Trotzdem im Moment der Markt in der Stadt gastierte, bekamen sie so sonderbare Besucher nur selten zu Gesicht. Überhaupt in letzter Zeit fanden kaum noch Feen aus der Toten Stadt den Weg bis nach Faranjoma.
„Warum habt Ihr uns geholfen?“, war Lucys erste Frage an Drago, als sie versammelt am Tisch saßen und ein kurzes Gebet gesprochen hatten. Phela begann das Sauerkraut zu verteilen.
„Ich muss gestehen, ich habe Euch erkannt“, lächelte der Gaukler und steckte seinem Äffchen ein Stück Brot zu.
„Vor fünf Jahren war ich einmal in Shidabayra. Vielleicht erinnert Ihr Euch daran? Drago Garis Raritätenschau?“ Der Mann hob fragend die Brauen. Lucy zuckte mit den Schultern. „Es tut mir Leid ...“
„Na, macht ja nichts, aber ich habe Euch an der Seite Eures Vaters gesehen. Euch und Eure Schwester. Als ich Euch in Begleitung dieser ... dieser Halunken sah, da habe ich Euch sofort erkannt.“
Dari warf Lucy einen strengen Blick zu. „Du bist doch nicht etwa ...?“
„Die Prinzessin von Shidabayra“,
Weitere Kostenlose Bücher