Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
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Kurz nach Mittag landete Lenur auf der nördlichen Stadtmauer von Yrismin, die zurzeit kaum bewacht wurde. Die meisten Türme hier lagen in Trümmern und nur ein paar Leute waren dabei, in den Mauerresten nach Habseligkeiten zu suchen.
Der blaue Meerdrache schwankte einen Moment nach der Landung und faltete die Schwingen dann mit einem leisen Knistern zusammen. Der Flug war lang und anstrengend gewesen. Es hatte heftig geregnet und manchmal waren die Wolken so dicht gewesen, dass sie kaum die Hand vor Augen hatten sehen können. Aber Lenur hatte sich dagegen entschieden, über den Wolken nach Osten zu fliegen. Sie war sehr schweigsam gewesen, dennoch hatte Miro deutlich die Gedanken gespürt, die sie auf ihrem Flug verfolgt hatten. Schwermütige Gedanken, die nur aus einer Quelle der schwarzen Magie zu ihnen hatten dringen können.
Steifbeinig stieg die Heilerin nun von Lenurs Rücken und blickte sich suchend um. Es dauerte nicht lange, bis Miro die traurigen Gestalten vor einem großen, scheunenartigen Holzhaus stehen sehen konnte.
Einer von ihnen war Drago, der mit Brutus auf der Schulter in den Nieselregen hinaustrat und Miro von Usonday ein scheues Lächeln schenkte.
Einigermaßen erleichtert, sprang die Heilerin von der Mauer und streckte Drago ihre Hand entgegen.
„Ich grüße Euch“, sagte der Orgelspieler förmlich. „Ich freue mich aufrichtig, Euch einmal kennen zu lernen. Nyasinta sagte mir, dass Ihr heute ankommen werdet.“
Miro betrachtete mit einigem Argwohn das kleine weiße Äffchen auf Dragos Schulter, das mit aufgeweckten Knopfaugen zurückstarrte.
„Ich freue mich auch ... das heißt, unter den gegeben Umständen ...“
„Folgt uns einfach, Ihr werdet sehr erschöpft sein, von dem Flug.“
„Was ist mit dem ...“ Miro wandte sich zu Lenur um, aber der anmutige Meerdrache war nicht mehr da. „Oh ...“, sagte sie enttäuscht.
„Keine Sorge, sie wird in den Wäldern von Eshkash auf Euch warten.“ Drago legte ihr einen Arm um die Schulter und führte die Heilerin zu den wartenden Menschen. Das kleine Äffchen kletterte auf Miros Kopf und zog ihr die Haare aus der Spange.
„Darf ich Euch Barbadur und seine Diebesbande vorstellen“, sagte Drago.
„Diebesbande ...?“, murmelte Miro und schüttelte den Leuten nacheinander die Hand. Es handelte sich um heruntergekommene Gestalten, die kaum noch einen ganzen Fetzen am Leibe trugen und vor Schmutz starrten. Am liebsten hätte Miro Nyasinta gerufen und sie dazu gezwungen, sie wieder zurück nach Falgamond zu fliegen. Konnte sie diesen Leuten überhaupt trauen?
„Folgt uns“, forderte Drago die Heilerin von Usonday auf. Erst jetzt wurde Miro gewahr, wie groß die Zerstörung in Yrismin tatsächlich war. Von Lenurs Rücken aus hatte die Stadt kaum anders gewirkt, als die Heilerin sie in Erinnerung gehabt hatte. Aber nun wurde deutlich, dass die Ashjafal und ihre magischen Waffen eine große Verheerung angerichtet hatten.
Sie kletterten durch einen mit Schutt gefüllten Tunnel, während das Regenwasser aus kleinen Löchern tropfte und die ohnehin schäbige Schar noch mehr durchweichte.
Als sie das Gauklerviertel erreichten und der gelbe Lichtschein der Laternen das trübe Regenwetter ergebnislos zu vertreiben versuchte, wurde Miro zusehends trübsinniger. Die Räuberbande steuerte auf ein hohes Fachwerkhaus zu, dessen Fenster dunkel und abweisend wirkten. Im Inneren herrschte ein modriger Geruch vor, und es war ausgesprochen kalt.
Miro folgte Drago Gari in einen kleinen Raum hinter der Treppe, der keine Fenster besaß. Angenehm warme Luft schlug ihnen entgegen, als der Schausteller die Türe öffnete und die Heilerin hineinließ. Das Zimmer war angestopft mit einem wuchtigen Tisch und einer großen Anzahl an Stühlen. Alle unterschiedlicher Natur. Dem gegenüber flackerte ein Feuer in einem kleinen Kamin aus Elfenholz. An den Wänden hingen Gemälde und Zeichnungen. Skizzen von abstrusen mechanischen Geräten und Dingen, die Miro nichts sagten und nach der langen Reise das Gefühl der Einsamkeit und Fremde nur noch verstärkten.
„Bitte setzt Euch“, wies Drago sie an. Der kleine weiße Affe saß immer noch auf der Schulter der Heilerin. Jetzt sprang er auf den Tisch und kletterte auf einen verloschenen Kerzenhalter. Miro setzte sich. Barbadur ließ sich ihr gegenüber auf einen Stuhl fallen.
„Bitte verzeiht uns die wenig passende Unterkunft“, sagte er mit einem
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