Im Abgrund der Ewigkeit
Enttäuschung.“
Gundula drehte sich um, riss die Tür zur Küche auf und verließ uns fluchtartig.
Ich schnaubte übertrieben, großteils, um die urplötzlich angespannte Situation etwas zu entschärfen. „Clement! Gundula hat recht. Warum sollten gerade wir einen Weg aus diesem Chaos finden? Ich, für meinen Teil, bin jedenfalls bestimmt keine Auserwählte ! Ich habe vielmehr das klitzekleine Problem, dass ich vergessen habe, woher ich komme und was ich hier soll. In meinem Kopf ist eine einzige Leere. Vakuum.“
Um Clements Lippen tanzte die Andeutung eines spöttischen Lächelns. „Das stimmt nicht ganz. Du hast beileibe nicht alles vergessen.“
Eine dumpfe Wut gepaart mit Unsicherheit stieg in mir hoch. „So?“, fragte ich bissig. „Kennst du mich besser, als ich mich selbst?“
Clement trank vorsichtig von seinem heißen Kaffee, bevor er antwortete. „In gewisser Hinsicht schon. Ich brauche nur ein einziges Wort zu sagen und du wirst mir beipflichten.“
Mein Zorn nahm zu. „Klar doch“, presste ich heraus. „Ein einziges Zauberwort genügt. Abrakadabra .“
Clement stellt den Becher ab, seine hellgrünen Augen bohrten sich in mein Herz. „Nicht Abrakadabra, Lilith!“ Die nächsten Silben sprach er betont langsam und deutlich: „As-mo-de-o.“
Der Klang seiner Stimme war noch nicht verebbt, als mich das Gefühl überkam, jemand würde mein Innerstes in Stücke reißen. Eine Gewissheit stieg in mir hoch, dass mir etwas fehlte. Dass ein großer Teil meines Wesens mit diesem einen Namen verbunden war. Ich empfand mich als unfertig, als unvollkommen. Eine erstickende Sehnsucht überschwemmte mich.
Voller Verzweiflung sah ich zu Johannes. Dessen Gesicht hatte sich ebenfalls verändert. Stumpf starrte er auf Clement. „Ich kenne diesen Namen“, sagte er stockend. „Mir kommt es vor, als müsste ich nur eine Hand ausstrecken und ich könnte mein früheres Leben wieder ergreifen und beherrschen. Aber es funktioniert nicht.“
Tränen traten mir in die Augen. „Ich kann mich nicht an Asmodeo erinnern. So sehr ich mich auch anstrenge. Was immer ich auch unternehme. Ich schaffe es nicht.“
Clements Grinsen war regelrecht böse. „Siehst du, ein Wort genügt, und ihr wollt eure Vergangenheit nicht mehr loslassen.“
„Was nützt mir eine Vergangenheit, die für mich im Nebel verloren ist? Eine Vergangenheit, an die ich keine Erinnerung besitze?“ Ich hörte mich selbst wie von Ferne sprechen. Ich klang unsagbar traurig.
Jedes Gefühl erstarb in Clements Gesicht. „Was ist auf einmal los, Lilith? Hast du deinen Kampfgeist verloren? Du lässt dich doch sonst nicht so leicht unterkriegen! Du musst um dein früheres Leben kämpfen. Probiere doch einfach dein Medaillon!“
Meine rechte Hand fuhr zu meinem Hals, an dem das Schmuckstück hing. Gleichzeitig dachte ich an das, was ich gesehen hatte, als die Melodie das letzte Mal spielte, und eine lähmende Furcht kroch in mich. Trotzdem begann ich, den Verschluss der Kette zu lösen.
„Willst du das wirklich?“, fragte mich Johannes, dem mein innerer Tumult nicht entgangen war.
Ich nahm die Kette herunter, bedachte Johannes mit einem liebevollen Blick. „Wenn du dabei bist, habe ich keine Angst.“
Clement beugte sich nach vorne und streckte mir seinen Arm entgegen. „Gib es mir!“, sagte er.
Ich legte das Medaillon auf seine flache Hand. Er machte eine Faust, führte das Schmuckstück an sein Gesicht, öffnete ein wenig die Finger und sah hinein. Sein Daumen löste den Mechanismus aus, das goldene Oval sank an seiner Kette nach unten und wieder schwangen die einzelnen Töne wehmütig durch den Raum.
Mein Blick glitt über Clement und Cecilia und blieb auf Johannes haften. Dann wurden meine Augen von der Glut des Feuers im Kamin angezogen. Das Prasseln der Flammen löschte die Gegenwart aus.
Der Spalt in der Mauer, der blaue Himmel, das reizende Gesicht des Mädchens. Mein Sohn Eugen, glücklich und voller Lebenslust.
Der Artist inmitten der Zuschauer, Feuer bricht aus seinem Mund. Hoch schlagen die Flammen. Weit hinten die beiden Kinder. Eugen und Judith. Die Namen sind mir mit einem Mal vollkommen geläufig.
Eugen und Judith schlendern über den Jahrmarkt. Man kann sie fast nicht unterscheiden. Ihre roten Capes stechen aus der Menge heraus, schmerzen in meinen Augen.
Im Hintergrund erkenne ich eine Frau. Groß, schlank, wunderschön. Sie bewegt sich auf die Kinder zu. In ihrer Hand blitzt ein länglicher Gegenstand
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