Im Abgrund der Ewigkeit
wieder aufzublicken. „ Nicht von dieser Welt “, wiederholte er. „Das habe ich befürchtet.“
4
W as ihn geweckt hatte, vermochte der Abt nicht zu sagen. Er schlug die Augen auf und blickte in das Halbdunkel seines Krankenzimmers. Der flackernde Bildschirm, der seine Vitalfunktionen in bläulichen Farbtönen wiedergab, verbreitete gemeinsam mit den Leuchtdioden der medizinischen Geräte ein diffuses, geradezu unwirkliches Licht. Eine Gestalt saß nicht weit von seinem Bett entfernt - unbeweglich, einer Statue gleich.
„Wer ist da?“, flüsterte der Abt.
Als niemand antwortete, fügte er hinzu, diesmal etwas lauter: „Bist du es, Asmodeo?“
Wieder kam keine Erwiderung.
Das Bedürfnis nach Schlaf wurde übermächtig. Beinahe fielen dem Abt die Augen zu. Er musste sich regelrecht dazu zwingen, wach zu bleiben.
„Ich habe eine Frage an dich.“ Die Stimme stammte eindeutig von Asmodeo, wenn dieser auch ungewöhnlich leise und verhalten sprach.
„Ich warte“, sagte der Abt.
„Ja, warten . Immer wieder warten .“ Der Schatten blieb weiterhin unbeweglich. Alles, was der Abt erkennen konnte, war ein dunkler Umriss.
„Können Dämonen eine Seele haben?“
„Warum willst du das wissen?“, entgegnete der Abt, um Zeit zu gewinnen.
„Ich existiere seit Jahrtausenden und in mir waren nur das Böse, der Hass und der Tod. Ich zog eine Spur der Verwüstung durch diese Welt. …Ein wahrhaftiges Monster. Ein Dämon.“
„Du erzählst mir nichts Neues.“
„Aber du weißt nicht, was ich dabei empfand. Vollkommene Leere erfüllte mich, die sich zunächst kaum merklich von Millennium zu Millennium, dann von Jahr zu Jahr und schließlich von Sekunde zu Sekunde steigerte, bis ich es nicht mehr aushielt, bis mein einziges Streben darin bestand, dieses erbärmliche Dasein zu beenden. Ich wollte aufhören, zu existieren.“
Diesmal war der Abt an der Reihe, stumm zu bleiben.
„Ich beschloss, das Gute ein für allemal auszulöschen, dem Bösen zum endgültigen Sieg zu verhelfen. Ich wollte mich in einem grandiosen Finale von den Fesseln meiner Bestimmung befreien und dann einfach gehen…“
Ein leichtes Seufzen ertönte.
„Nur aus diesem Grund entschied ich mich dazu, lieben zu lernen. Ich hatte vor, dieses verfluchte Gefühl, diese schreckliche Kraft selbst zu erleben, die mir ständig meine gesamten Pläne vereitelte, um sie anschließend gnadenlos zu vernichten… Und ich lernte lieben.“
In der Stille, die auf Asmodeos Worte folgte, erschienen die leisen Signale der elektronischen Überwachungsgeräte überlaut und penetrant.
„Lilith“, sagte der Abt schließlich, als Asmodeo auch nach längerer Zeit nicht fortfuhr.
„Lilith“, wiederholte Asmodeo „Von langer Hand hatte ich geplant, sie kennenzulernen. Ich glaubte, alles durchdacht zu haben. Ich war felsenfest davon überzeugt, alles zu kontrollieren. Aber selbst meine kühnsten Vorstellungen konnten mich nicht auf das vorbereiten, was mich erwartete. …Denn ich entwickelte Gefühle.
…Zuerst wollte ich Lilith lediglich besitzen, sie benutzen. Dann kam Eifersucht hinzu - anfangs nur wie der Stich eines Insekts, lästig, aber belanglos, bis sie sich urplötzlich lawinenartig steigerte und mit einer derartig persönlichen Wut vermischte, dass es mich beinahe in den Wahnsinn trieb.“ Asmodeo gab ein trockenes Lachen von sich, und das Geräusch jagte dem Abt eine Gänsehaut über den Rücken.
„Aber ich kämpfte dagegen an. Mit meinem ganzen Willen. Ich gab nicht leicht auf. Ich weigerte mich, mir einzugestehen, dass mir jegliche Kontrolle schon längst entglitten war… Dann, irgendwann, wurde mir bewusst, dass ich ohne Lilith nicht mehr sein wollte. Und ich nahm alles in Kauf, nur um ihre Nähe zu spüren.“
Asmodeo unterbrach, um sich zu räuspern.
„…Doch damit nicht genug: Denn dieser Johannes, mein größter Widersacher, mein Erzfeind, sprang einfach vor die Kugel, die für mich bestimmt war.“
Diesmal hatte der Abt den Eindruck, dass Asmodeo nicht mehr weitersprechen würde, aber er hatte sich getäuscht.
„Liebe und Freundschaft“, sagte Asmodeo nach einer Weile in die Dunkelheit. „Sie haben mich verändert, Franz. Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war.“
„Das ist doch nicht schlecht“, erwiderte der Abt.
„Nein, das ist es nicht… Glaubst du, dass Dämonen eine Seele bekommen können?“
Der Abt zögerte. „Das kann ich dir nicht sagen. Wenn ein Wesen liebt, dann scheint es mir zumindest
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