Im Abgrund der Ewigkeit
herzhaft. „Seid mir nicht böse“, sagte ich, „aber mein Bett ruft.“
Johannes zog seinen Arm zurück und ich stand auf.
Cecilia hielt mir mein Medaillon entgegen.
„Nein“, sagte ich. „Behalte du es heute Nacht.“ Und ohne zu wissen, warum, fügte ich hinzu. „Sein Zauber bringt Glück.“
Benommen stapfte ich die Treppe hoch, öffnete die Tür zu dem gemeinsamen Zimmer von Johannes und mir, zog die Stiefel aus, hängte den Revolvergurt an einen der Bettpfosten und entkleidete mich. Ich stieg ins Bett, wo ich mich unter die Decken rollte und im Handumdrehen in einen tiefen Schlaf versank.
Das Mondlicht schien mir ins Gesicht, als ich erwachte. Durch das kleine hohe Fenster drangen silberne Strahlen, legten sich auf meine Haut und kitzelten mich sanft aus meinen Träumen.
Johannes saß mit dem Rücken zu mir auf der Bettkante, den Kopf auf seine Arme gestützt. Das fahle Licht ließ sein schwarzes Haar dunkel glänzen. Sanft strich ich ihm über den Rücken.
„Ich habe Angst“, sagte er leise.
„Angst?“, wiederholte ich.
„Ja.“
„Wovor?“
„Dass morgen, wenn wir den Rattenmenschen gegenüberstehen, …dass dir etwas geschieht.“
Ich richtete mich auf, kniete mich hinter ihn, um seine Halsbeuge zu küssen.
„Besser?“, fragte ich nach einer Weile.
Johannes seufzte zuerst, dann hörte ich ihn leise lachen. „Nicht unbedingt.“
„Dagegen müssen wir doch dringend etwas unternehmen.“ Mit diesen Worten zog ich ihn herum.
Seine Haut schimmerte hell, seine Augen strahlten, voller Liebe, Begehren und unausgesprochenen Geheimnissen.
Die Nacht gehörte uns allein. Der nächste Tag war unendlich fern.
4
A llmählich verlor sich das einsame Funkeln der Sterne. Weit über dem Ende der Straße, fern am Horizont, bildete sich im dunklen Nachthimmel ein zaghaftes helles Band. Wütend tobte der eiskalte Wind durch die Stadt. Er schnitt sich an den Häusern, jaulte und pfiff, wie ein lebendiges Wesen. Wirbelnd blies er in den Schnee und ließ unzählige kleine Eiskristalle in Schwaden von weißem Rauch über die verlassene Straße tanzen.
Ich hielt mein Medaillon umklammert, das mir Cecilia vor wenigen Minuten zurückgegeben hatte. Ich hob es an die Lippen und küsste es. Dann verstaute ich es sicher unter meinem Poncho.
Zu meiner Rechten, einige hundert Schritte entfernt, vermochte ich Clement und Arne auf einer der kleinen Verandas stehen sehen, unbeweglich, wie körperlose Schatten.
Johannes und ich befanden uns vor der Herberge. Ich saß auf dem großen Baumstamm, der neben der Pferdetränke lag. Mein Poncho wärmte mich nur ungenügend vor der beißenden Kälte. Johannes spähte in die einbrechende Dämmerung. Alles rings um uns herum wirkte tot und erstarrt, glich dem längst abgestorbenen Holz unter mir.
Die Ahnung einer Bewegung jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich strengte meine Augen mehr an.
Nichts - ich hatte mich getäuscht.
Als ich zu Johannes hinüberblickte, sah ich, dass auch er sich krampfhaft bemühte, etwas zu erkennen. Wieder dieser fahrige schwarze Streifen an einer der Häuserecken.
Johannes straffte seine Schultern.
Ich kniff meine Augen zusammen, in dem Versuch, das mittlerweile bleierne Morgengrauen zu durchdringen. Da! - ein einzelnes Tier, flink und wendig. Es nutzte jeden Vorsprung, die kleinste Unebenheit als Deckung. Jetzt hielt es an, richtete sich auf seinen Hinterbeinen auf und schaute zu uns hinüber.
Die erste Ratte.
Zwei, zehn, Hunderte folgten. Sie strömten über die Straße, rannten wie schwerelos die Außenwände der Häuser empor, flitzten über die Dächer.
Johannes nahm eine Zigarre aus seiner Jackentasche. Ich kletterte vom Baumstamm, riss ein Streichholz an und gab ihm Feuer. Konzentriert arbeitete Johannes daran, den Tabak zum Glühen zu bringen.
Aus den Augenwinkeln konnte ich feststellen, dass Clement und Arne ihre Veranda verlassen hatten. Sie hatten sich ins Innere des Hauses zurückgezogen.
Wie aus dem Nichts tauchten zerlumpte Gestalten in langen Mänteln auf. Ausnahmslos trugen sie die gelben Brillen, die ihren Gesichtern jegliche Individualität und Persönlichkeit nahmen. Sie kamen zu Fuß, Waffen in den Händen - vorsichtig und lauernd.
Jetzt erschienen mehr von ihnen. Eine ganze Truppe. Anders als die Vorhut liefen sie selbstbewusst inmitten der Straße, als könnte ihnen niemand etwas anhaben. Sie umringten ein gutes Dutzend Reiter. Der stattliche Falbe des Majors befand sich in ihrem
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