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Im Abgrund der Ewigkeit

Im Abgrund der Ewigkeit

Titel: Im Abgrund der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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einfach wahnsinnig gestellt. Ich habe ihnen vorgemacht, dass ich den Verstand verloren hätte. …Und sie haben mir geglaubt und wurden nachlässig.“
    Ich schluckte. „Dieses Rattennest, wo finde ich es?“
    Die Alte hob ihre Hand und betrachtete nachdenklich ihren krummen Zeigefinger, den sie in die Höhe streckte. „Wenn ich daran denke“, sagte sie, „fühle ich nur wieder Schmerzen. Diese unsägliche Pein. Ich sehe Bilder, blutüberströmt und voller Qualen. Als junges Mädchen wurde ich dorthin verschleppt. Und sieh, in welchem Zustand ich nur ein Jahr später zurückgekehrt bin. Ich kann dir beim besten Willen nicht helfen.“
    „Deine Erinnerung ist zerstört? Dein Gedächtnis ist gelöscht?“
    Die Alte senkte ihren Kopf, die langen zotteligen Haare verdeckten ihr Gesicht. Sie schluchzte.
    Ich griff an meinen Hals, löste die Kette und betrachtete mein Medaillon. Dann ließ ich es aufspringen. Der Keller beziehungsweise das Erdloch, in dem wir uns befanden, verschluckte die Geräusche. Die Spieluhr kämpfte hart gegen die drückende Stille des Ortes an. Aber schließlich siegte die Melodie über die dumpfe Verzweiflung, die hier herrschte. Rein und klar drang das Lied bis in alle Winkel.
    Die Alte überkam ein Zittern, sie verlor die Gewalt über ihren Körper. Hart fiel sie zu Boden. Heller, fast weißer Schaum drang aus ihrem Mund. Ihre Beine bewegten sich unkontrolliert und zogen Furchen in die festgetretene Erde. Schließlich verließen sie die Krämpfe. Unbeweglich und leblos blieb sie zurück.
    Als die Spieluhr geendet hatte, dauerte es eine Weile, bis sie zu sprechen begann. Sie erzählte mir alles, was ihr widerfahren war. Und sie beschrieb mir haargenau den Weg bis ins Herz des Rattennestes.
    Dafür gab ich ihr ein Versprechen.
     

 
    7
     
    B eim ersten Tageslicht führten wir fünf Pferde aus der Scheune - vier würden wir benötigen, das fünfte war für Cecilia bestimmt. Die Tiere schnaubten. Sie tänzelten unruhig auf der Stelle, froh, der Enge des Stalls entronnen zu sein.
    Ich blickte die Straße hinunter. Die Einwohner hatten ganze Arbeit geleistet und die Toten zum Friedhof geschafft. Der andauernde Schneefall hatte die restlichen Spuren des gestrigen Kampfes gnädig zugedeckt.
    Wir würden mit leichtem Gepäck reisen. Nur unsere Waffen, etwas Trockenfleisch und Hafer, Verbandszeug und Decken – mehr benötigten wir nicht.
    Johannes wirkte ruhig und entschlossen, Clements Augen leuchteten vor Vorfreude auf die kommende Auseinandersetzung. Arnes Haut schimmerte blass, nahezu durchsichtig. Seine Bewegungen waren fahrig und abgehakt. Er hatte allem Anschein nach überhaupt nicht, oder bestenfalls nur wenig geschlafen.
    Ich überprüfte den Bauchgurt meines Sattels, kontrollierte den festgezurrten Geigenkasten, bevor ich mich auf den Rücken meines Fuchses schwang.
    Gundula trat aus der Herberge, lief die Verandatreppen herunter und blieb neben meinem Pferd stehen. Sie sah furchtbar aus. Rote Flecken verunzierten ihr geschwollenes Gesicht. Ich hatte sie in der Nacht stundenlang weinen hören und auch jetzt liefen ihr einzelne Tränen über die Wangen. Sie langte zu mir hinauf, um meine Hand zu ergreifen, die bereits die Zügel hielt.
    „Lilith“, sagte sie, „du holst sie mir wieder.“
    Ich schaffte es nicht, ihr zu antworten.
    Gundula verstärkte ihren Griff, rüttelte drängend an meinem Arm. „Du holst sie mir wieder, hast du gehört? Dir ist es schon einmal gelungen, sie zurückzubringen. Erinnerst du dich? Du hast sie dem Fluss entrissen. Und du wirst es wieder schaffen.“
    Ich wusste nicht, worauf sie anspielte, aber ich hätte ihr so viel sagen wollen: Worte des Trostes, Worte der Zuversicht, aber mein Herz war kalt, erstarrt vor Angst, wie der Schnee und das Eis um uns herum. Das Beste, was ich hinbekam, war ein leichtes Nicken. Dann schlug ich die Hacken meiner Stiefel fester als es nötig gewesen wäre in die Flanken meines Fuchsesund wir setzten uns in Bewegung.
    Ich wagte es nicht, mich umzublicken. Zu sehr fürchtete ich, dass mich der Mut verlassen würde. Stattdessen trieb ich mein Pferd energisch an, zog meinen Hut tief in die Stirn und verdrängte alle Gedanken, alle Zweifel, jede Spur von Unruhe aus mir. Nur so hatte Cecilia noch eine Chance. Wenn überhaupt…
    Wir wählten nicht die Strecke, die die Streitmacht der Rattenmenschen genommen hatte, um nach Snowhill zu gelangen. Wir entschieden uns für die Route, auf der der alten Hilde vor Jahrzehnten die Flucht

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