Im Abgrund der Ewigkeit
Draußen heulte der Wind sausend durch den Pass, Schneeflocken wurden in die Höhle hineingeweht, in der der kleine Trupp Zuflucht gefunden hatte. Ab und zu schnaubte eines der Pferde.
Clement verfolgte angespannt den Flug der weißen Kristalle, sah wie sie durch die Luft wirbelten und im Dunkel der Nacht verschwanden.
Er wartete.
Ohne Vorwarnung hielten die Flocken mitten im Flug an, verharrten schwebend auf ihrer Position. Gleichzeitig schossen die Flammen des Feuers empor, ein grell blendendes Licht leuchtete auf.
Clement schloss die Augen. „Hallo Baal“, sagte er.
Ein loderndes Flackern stellte die einzige Antwort dar. Die Pferde wieherten unruhig und zerrten angstvoll an den Zügeln, mit denen sie an einem Steinblock festgebunden waren.
Clement öffnete seine Lider, darauf bedacht, nicht direkt ins Feuer zu sehen. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, was sich neben ihm aus der Glut erhob. Die mächtige Figur schien mitten aus den Flammen herauszuwachsen. Zwei schwarze Löcher in ihrem Haupt schnellten unruhig von einer Seite zur anderen, bis sie sich auf Clement fixierten.
„Ich kann Lilith sehen. Du hast sie mir gebracht“, sagte Baal. „Ich kann sie beinahe berühren. So nah, und doch unendlich fern.“
„Tja“, spöttelte Clement, „die Existenz ist manchmal grausam. …Andererseits, wenn ich es recht bedenke, könntest du doch inzwischen im Fegefeuer durchaus körperlich erscheinen.“
„Ja?“, fragte Baal gedehnt.
„Aber natürlich. Deine alte Freundin, die Rattenkönigin, hatte Besuch von Lilith und ist seitdem …verschieden.“
„Selbstverständlich könnte ich jetzt jederzeit den Platz als Anführer der Ratten annehmen. Problemlos könnte ich mit den Rattenmenschen Lilith vernichten, wann immer ich es wollte. Aber…“ Baal hielt einen Augenblick inne und fuhr fort: „Aber ich will nicht. Lilith würde mir nie verraten, wie ich das Tor öffnen kann. Das herauszufinden, ist deine Aufgabe.“
„Ohne mich wärst du großer mächtiger Herr der Hölle, Herrscher über die Dämonen, einfach aufgeschmissen. Gib’s zu, mit Lilith wirst du nicht alleine fertig.“
Baal brüllte seine wahnsinnige Wut heraus, dann stockte er und lachte schallend. „Du hast recht! Ich benötige tatsächlich deine Dienste. Lilith ist so gut wie verloren. Du, ihr schlimmster Feind, sitzt da, und wachst über sie.“
Clement tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger an seinen Kopfverband und grüßte in Richtung des Dämons. Noch immer hielt er seinen Blick in die undurchdringliche Nacht gerichtet.
„Vertraut sie dir bereits?“
Clement schwieg.
„Konntest du sie täuschen?“
„Sie hält mich für ein Mitglied ihrer Familie. …Und ja, sie vertraut mir jetzt.“
„Ihr Geheimnis, wie das Portal geöffnet wird, hat sie dir das schon verraten?“
„Leider nein. Aber…“, Clement hob beschwichtigend eine Hand, „…aber es ist nur noch eine Frage der Zeit.“ Er beugte sich vor und zog vorsichtig die Decke zurück unter der Lilith und Johannes lagen. Mit spitzen Fingern ergriff er die filigrane Goldkette, die Lilith um ihren Hals trug. Er öffnete den Verschluss und nahm sie mitsamt dem Medaillon an sich.
„Das ist es?“, fragte Baal.
Clement ließ das Medaillon an der Kette vor seinem Gesicht baumeln. „Immer wenn sie die kleine Spieluhr hört, erinnert sie sich. Stets ein Stück mehr. Und ich bin mir mittlerweile sicher, das Medaillon mit seiner Musik ist der Schlüssel zu allem.“
„Darf ich es spielen hören?“
Clement zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Du stehst auf Musik?“
„Dämonen stehen nicht auf Musik“, antwortete Baal. „Mein Interesse ist rein beruflicher Natur.“
„Lügner“, flüsterte Clement und betätigte behutsam den Auslösemechanismus. Die Melodie schwebte durch die steinerne Nische, irrte hinaus in die Nacht und erstarb im Rauschen des Windes. Für die Dauer des Liedes nahm die Hitze, die der Dämon erzeugte, unerträglich zu. Als die Töne verklangen, verschwanden mit ihnen auch das grelle Licht und die brennende Glut.
Baal hatte sich zurückgezogen.
Clement fühlte die Müdigkeit in sich aufsteigen. Seine Wache neigte sich dem Ende entgegen.
12
V on der Ferne aus betrachtet, glichen die Häuser von Snowhill kleinen schwarzen Schachteln. Clement zügelte sein Pferd, zog seine Automatik und feuerte zwei Schüsse in die Luft. Dann winkte er, bevor er seine Waffe an ihren Platz unterhalb der linken Achsel verstaute.
„Glaubst du, die
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