Im Abgrund der Ewigkeit
haben das gehört?“, fragte Johannes mit zweifelndem Blick.
„Und wie!“, antwortete ich.
Ein dunkler Punkt löste sich aus der Ansammlung der Gebäude und bewegte sich quer über die weiße Ebene auf uns zu. Wir trieben die Pferde an und bald konnten wir Gundula erkennen, wie sie mit wehenden Haaren auf uns zugerannt kam. Ohne Mantel eilte sie uns entgegen. Sie schien weder die Kälte zu registrieren, noch den hohen Schnee, durch den sie sich kämpfte. Ihr angstverzerrtes Gesicht war auf uns geheftet.
Plötzlich hielt sie mitten im Laufen inne, presste die Hände gegen den Mund und senkte ihren Kopf. Als sie wieder aufsah, standen wir neben ihr. Sie hatte geweint, ihre Wangen waren vom Laufen gerötet, doch ihre Augen, die in tiefen dunklen Höhlen lagen, begannen zu strahlen, wie ich sie noch nie hatte leuchten sehen.
Gundula konnte ihren Blick nicht von Cecilia wenden, die vor Arne im Sattel saß. Das Mädchen war noch blass, musste gestützt werden, aber sie war seit dem Morgen bei Bewusstsein und hielt tapfer mit.
„Mama“, flüsterte Cecilia.
Gundula sagte kein Wort, sondern stapfte zu Arnes Pferd, langte hinauf und ergriff Cecilias Hand, um sie nicht mehr loszulassen.
Langsam setzten wir uns in Bewegung. Gundula führte unsere kleine Gruppe an und wir anderen folgten.
Der Wind strich kalt über die Ebene. Aber mir erschien er wie ein alter Freund, der mich nach Hause begleitete. Bald würden wir in der Herberge sein, frisches Brot und heiße Suppe essen. Und dann würde ich mir den absoluten Luxus eines Bades genehmigen, bevor ich in mein Bett sank.
Die Straßen von Snowhill waren verlassen. Doch sobald sich das Geräusch der ersten Hufschläge an den Fassaden brach, öffneten sich die Türen und die Bewohner traten heraus, um stumm in unsere Richtung zu starren.
Ich zügelte meinen Fuchs vor dem Haus der alten Hilde und wartete, bis die Greisin auf ihre Veranda trat. Sie hatte sich in eine Decke gewickelt. Ihre verkrüppelten Finger krallten sich tief in den Stoff. Die Narben an ihren Handgelenken, die entstanden waren, als ihr die Rattenmenschen vor vielen Jahren die Adern aufgeschnitten hatten, traten weiß hervor.
Ihr Blick glitt über Cecilia und Arne, um schließlich auf meinem Gesicht hängen zu bleiben. Aus ihren Augen leuchtete der reinste Hass.
„Und?“, fragte sie, „hast du dein Versprechen gehalten?“
Ich nickte.
„Das genügt mir nicht. Ich will es hören.“
Ich verzog ein wenig den Mund, rückte meinen Hut gerade und meinte: „Ich habe deine Grüße überbracht und das Miststück erschossen. Wie ich es versprochen habe. Die Rattenkönigin gehört der Vergangenheit an.“
Die Runzeln in Hildes Gesicht gerieten in Bewegung und ein befriedigtes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus. Abrupt drehte sie sich weg und schloss die Tür krachend hinter sich.
Ich lenkte mein Pferd hinüber zum Stall. Die anderen waren bereits abgestiegen. Arne und Gundula stützten Cecilia, bald darauf waren sie in der Herberge verschwunden.
Ich schwang mich aus dem Sattel und nahm Johannes und Clement die Zügel aus den Händen. „Geht ihr schon einmal vor. Ich versorge die Pferde und komme im Handumdrehen nach.“
„Wir können dir auch helfen. Mir geht es schon viel besser“, bot sich Clement an.
„Genau“, meinte Johannes. „Deshalb siehst du auch so grün um die Nase aus. Ich habe wirklich keine Lust, dich bewusstlos vom Stall in die Gaststube zu zerren.“
„Ihr übertreibt vollkommen mit eurer Fürsorge. Früher bin ich auch alleine zurechtgekommen“, protestierte Clement.
„Die Zeiten ändern sich“, bemerkte ich grinsend, während Johannes Clement kurzerhand am Arm packte und ihn mit sich in Richtung der Herberge schleppte.
Ich führte unsere fünf Pferde in den Stall, sattelte sie ab und tränkte sie. Dann warf ich ihnen frisches Heu zu und füllte ihre Tröge mit Hafer. Ein wohliges Mahlen erfüllte den Raum, unterbrochen von gelegentlichem genussvollem Schnauben. Ich wuchtete die Sättel auf die halbhohen Mauern, die die Boxen voneinander trennten, spülte die Mundstücke der Trensen ab und hängte sie an die dafür vorgesehen Haken. Damit war alles erledigt.
Zum Abschied klopfte ich meinem Fuchs anerkennend den Hals und drehte mich um, in der Absicht, zu gehen.
Ein beunruhigendes Piepsen zerriss die Geräuschkulisse des Stalls. Die Töne folgten eng aufeinander und wurden schriller, je länger ich ihnen lauschte. Allerdings konnte ich die Quelle dieser
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