Im Abgrund der Ewigkeit
Kopf. „Ich erinnere mich daran, Schüsse gehört zu haben. Danach ist alles dunkel. Wie soll ich dich denn genannt haben?“
„Lilith“, erwiderte ich flüsternd.
„Lilith?“, er horchte in sich hinein. „Der Name ist mir vollkommen unbekannt. Und ich bin mir auch sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind.“
Als er merkte, wie traurig mich seine Antwort machte, beeilte er sich, zu ergänzen: „Ich glaube nicht, dass dich jemand, der dich einmal gesehen hat, vergessen könnte.“
Ich spürte, wie ich rot wurde. Wieder sahen wir uns in die Augen und erneut hatte ich das starke Bedürfnis, ihm nahe zu sein. Diesmal war ich felsenfest davon überzeugt, dass er mein Gefühl teilte, bevor er unseren stummen Dialog abermals abbrach.
„Dein Name ist Lilith“, stellte er unnötigerweise fest.
„Ja. Lilith Stolzen“. Ich wartete einen Moment, ob der Name bei ihm irgendwelche Assoziationen hervorrief. Ob er womöglich doch mehr von meiner Vergangenheit wusste, als ich selbst. Aber dem war anscheinend nicht so.
„Klingt gut“, sagte er. „Passt zu dir.“
„Und wie soll ich dich nennen?“, fragte ich.
Er zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete. „Ich heiße Johannes. Johannes Hohenberg.“
„Und was machst du hier, in dieser gottverlassenen Wüste?“
Sein Jungenlächeln ersetzte eine Antwort. „Das gleiche könnte ich dich fragen.“
„Bei mir ist das kompliziert“, erwiderte ich.
„Du musst mir nichts erklären, wenn du nicht willst. Das Einzige, was für mich zählt, ist, dass du da warst, als ich dich am Nötigsten brauchte. Du bist mein rettender Engel.“
„ Rettender Engel “, ich grinste breit. „Das klingt wirklich gut. Damit kann ich mich anfreunden.“
„Ich bin unterwegs nach Snowhill. Ich werde bereits erwartet. Die Leute dort werden dir dankbar sein, Lilith.“
„Snowhill“, wiederholte ich überrascht. „Das ist auch mein Ziel.“
„Wir können uns gerne zusammentun, wenn du möchtest. Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber für eine Frau ist es sicherlich nicht einfach, allein auf einem Pferd die Wüste zu durchqueren.“
„Bisher war ich zu Fuß unterwegs.“
Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Tatsächlich? Zu Fuß durch diese Hölle?“
„Ja, aber mittlerweile habe ich mich stark verbessert. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich drei Pferde geerbt .“
Er schlug die Decke vollends zurück und erhob sich. Obwohl er noch Schmerzen hatte, bemühte er sich sichtlich darum, sich nichts anmerken zu lassen, während er behutsam die Bandage betastete, mit der ich seine Wunden verbunden hatte.
Verstohlen bewunderte ich das Muskelspiel seines sehnigen Oberkörpers.
Er folgte meinem Blick. „Ich muss mich anziehen“, meinte er. Die Art, wie er es sagte, ließ mich aufhorchen. Seine Körpersprache und seine Mimik sendeten eindeutige Signale. Er konnte es auch kaum erwarten, bis wir uns endlich berührten, wie es Liebende tun. Doch wie ich, schien er klug genug zu sein, zu wissen, dass hier und jetzt weder der richtige Ort noch die richtige Zeit dafür waren. Wir mussten auf der Hut bleiben.
Später – sagte ich mir in Gedanken. Snowhill konnte nicht mehr allzu weit entfernt sein. Laut fragte ich: „Soll ich dir beim Anziehen helfen?“
Sein Jungenlächeln brachte mich beinahe um den Verstand. „Das schaffe ich gerade noch alleine.“
Er holte sich einen seiner Koffer, kramte einige Kleidungsstücke hervor und ging mit ihnen hinter den Felsen. Insgeheim war ich darüber sehr erleichtert, ich hätte mich sonst nicht zurückhalten können, hätte jede Vorsicht außer Acht gelassen und wäre auf der Stelle über ihn hergefallen.
Es dauerte nicht lange, bis er zurückkam.
Er trug den Anzug eines Priesters.
20
F ür einen Augenblick war ich wie versteinert. Dann prustete ich los. „Das ist mal eine Verkleidung! Wo hast du die denn her?“
Johannes blieb stehen und sah an sich herunter. Langsam griffen seine Hände an seinen Hals und rückten den weißen Kragen zurecht. „Das ist keine Verkleidung.“
„Wie bitte?“, entfuhr es mir.
„Ich sagte dir doch vorhin, ich bin unterwegs nach Snowhill.“
„Ja und?“
„Snowhill ist meine neue Gemeinde. Und ich bin ihr Priester“
„Oh mein Gott!“ Meine Stimme war heiser. „Was für eine Verschwendung!“
Johannes zog die Augenbrauen zusammen. Für einen Moment dachte ich, er wurde regelrecht wütend auf mich.
„Das ist wirklich kein Witz?“, fragte ich.
Johannes schüttelte
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