Im Abgrund der Ewigkeit
sie. „Halte sie ins Licht!“
Cunningham folgte ihrer Anweisung, streckte ihr die Glasröhrchen widerstrebend entgegen. Beide waren nicht einmal halbvoll, ihr Inhalt dunkelgrau, nicht perlmuttfarben, wie er es hätte sein sollen.
„Ist das alles?“, fragte sie. „Ist das wirklich alles, was du heute herbeischaffen konntest?“
Cunningham zog ein wenig die Schultern hoch. „Ich verspreche dir, Elisabeth. Morgen werde ich erfolgreicher sein. Ich werde einfach mehr Spender für dich auftreiben. Wenn ich ein Dämon wäre, …“ – Cunningham brach ab.
„Du weißt ganz genau, dafür habe ich jetzt keine Kraft. In diesem Moment kann ich mich nicht einmal selbst regenerieren. Ich bin hilflos, …hilflos wie ein kranker Mensch – und angreifbar. Ich hätte dich bereits vor Jahren zum Dämon machen sollen, dann wäre meine Situation jetzt grundlegend anders, grundlegend besser.“
Cunningham lächelte. „Mach dir keine Sorgen, Elisabeth. Wir werden auch das zusammen schaffen. Und diese Durststrecke ist ja nicht von Dauer.“
„Ja?“, fragte sie und klang beinahe desinteressiert.
„Habe ich es dir denn noch nicht erzählt?“, fuhr Cunningham fort. „Die Anführer unserer Studentenverbindung haben unsere Geschäfte in Frankfurt für die Übergangszeit übernommen.“
„Ach“, meinte Elisabeth matt.
„Es sind zwei Juristen und sie leisten recht gute Arbeit. Sie machen sich gerade mit der Bedienung unserer Anlage vertraut. Nur noch wenige Tage und wir werden erstklassiges Serum erhalten.“
Elisabeth schwieg.
Er brach eine Ampulle auf und führte sie zu ihren Lippen. Sie öffnete den Mund, er schüttete den Inhalt hinein und sie schluckte gierig. Er beeilte sich, schnell die zweite Ampulle zu öffnen, um sie ihr ebenfalls einzuflößen.
„Halt, Charles“, bremste sie ihn. „Nimm dir auch etwas. Du brauchst deine Kraft. Im schwachen Zustand bist du mir keine Hilfe.“
„Mach dir keine Gedanken. Ich habe vorhin schon etwas gekostet. Mir geht es gut“, sagte Cunningham leise und wunderte sich selbst, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen ging.
Ohne zu zittern, goss er ihr den Inhalt der zweiten Ampulle in einem Zug in den Rachen. Sie schluckte geräuschvoll, drehte ihren Kopf zur Seite und blickte mit ihrem gesunden Auge in die Flammen.
„Ach Charles“, sagte sie leise. Ihr Blick wurde glasig und stumpf. „Mein lieber Charles, hast du mein Medaillon? Ich vermisse meine Melodie, ich vermisse meine zwei Bilder.“
Cunninghams Hände krampften sich in die Bettdecke. Sein Körper wurde starr. Er schüttelte langsam aber bestimmt den Kopf.
„Lilith“, sagte Elisabeth trocken.
Cunningham blickte zu Boden, weil er es nicht wagte, Elisabeth auch nur anzusehen.
„Lilith“, wiederholte sie. „Sie hat mir alles genommen. Sie hat mich von meiner Familie getrennt. Sie hat mir das gestohlen, was mir in dieser Welt am liebsten war. Und jetzt hat sie mir sogar mein Medaillon entwendet - den einzigen Gegenstand, der mir von damals geblieben ist.“
Cunningham hustete nervös. „Ich bin auch noch da.“
Elisabeth nahm sich Zeit mit der Antwort. „Ja, das stimmt.“
Cunningham erhob sich vom Bett, ging zu einer Vitrine und kam mit einer kleinen Eichenschatulle zurück. „Lilith hat dein Medaillon mitgenommen. Aber ich habe gesucht und ich glaube, wenigstens deine Melodie gefunden zu haben.“
Er öffnete den Deckel des kleinen Kästchens, es dauerte einige Sekunden und zarte Töne drangen durch den Raum. Zusammenhanglos, vermeintlich ohne jede Beziehung zueinander, fügten sie sich nach und nach zu einem Ganzen, formten das gleiche Lied, das Elisabeths Medaillon gespielt hatte.
Beim ersten Laut war Elisabeth aufgefahren, ihre Ketten hatten rasselnd an den Bettpfosten gerissen. Jetzt fiel sie zurück, ihr Gesicht entspannt, ihr Auge leblos und blutunterlaufen in die Vergangenheit gerichtet.
Das Holz im Kamin knackte, das Feuer loderte, Funken stoben empor, als ein Scheit rotglühend in sich zusammenbrach…
Ein Kreis von Personen. Dutzende von Menschen. Sie alle sind fasziniert, schauen auf den Künstler in ihrer Mitte. Die Nacht ist bereits hereingebrochen und das Feuer an den beiden Stäben, die der Mann in seinen Händen hält, ist grell und lodernd. Er wirbelt die Stecken herum, die Flammen schießen wie Feuerpfeile durch die Dunkelheit. Die Bewegungen sind so schnell, dass das gleißende Feuer eine ruhige Bahn zu vollführen scheint. Es umringt, es begrenzt seinen Bezwinger,
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