Im Abgrund der Ewigkeit
dunkel. Regen fiel, die Tropfen waren fein wie Gischt und kalt wie Eis. Kleine verkrüppelte Nadelbäume, die sich hinter den Felsen duckten, säumten unseren Pfad. Moos erschien auf den wenigen Flächen, die nicht vom Geröll bedeckt waren.
Ein frostiger Wind kam auf, er schnitt durch die Schals, die wir um Mund und Nase gebunden hatten. Meine Augen begannen erst zu brennen, dann zu tränen, aber ich konnte keine Hand vom Zügel nehmen, aus Angst, die Kontrolle über mein Pferd zu verlieren.
Johannes, der an der Spitze unseres kleinen Zuges ritt, blickte sich wiederholt besorgt nach mir um. Jedes Mal nickte ich ihm zu, womit ich ihm signalisierte, dass bei mir alles in Ordnung war.
Schon längst hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Ich konnte nicht mehr sagen, wie viele Stunden wir bereits unterwegs waren, die ich damit verbracht hatte, mich krampfhaft auf dem Rücken eines Pferdes festzuhalten. Durchgefroren und dumpf dämmerte mein Verstand am Rande des Schlafes entlang. Meine Bewegungen erfolgten instinktiv, mein Bewusstsein war auf Sparflamme geschaltet.
Der Regen veränderte seine Qualität, er wurde dichter, grauer und zuletzt weiß. Die Tropfen verwandelten sich in schwebende, eng beieinander fliegende Kristalle. Die Welt versank unter einem Leinentuch aus Schnee. Die Hufe unserer Pferde klangen jetzt gedämpft, wenn ihre Eisen auf das Geröll auftrafen. Ihr Atem zeichnete sich in dichten Schwaden vor ihren Mäulern ab. Ihre Nüstern begannen, brüchigen Raureif anzusetzen. Nirgends war auch nur der geringste Unterstand zu erkennen.
Wir zogen weiter, dem Himmel entgegen.
Ganz unvermittelt brach die Steigung ab und mündete in einer Senke. Hohe Tannen erwarteten uns, ihre giftig grünen Nadeln mit Eis bedeckt. Der fast unsichtbare Pfad, dem wir folgten, führte zwischen den Bäumen hindurch, deren dichte Äste uns vor dem Schnee und dem Wind weitgehend abschirmten.
Ich lockerte den vereisten Schal vor meinem Mund und atmete frei und ungezwungen.
„Ein idealer Platz, um eine Rast zu machen!“, rief Clement von hinten.
Ich drehte mich zu ihm um und nickte. Clement saß entspannt auf seinem Schimmel, er wirkte bester Laune und ausgeruht.
Mein Pferd stieß gegen das von Johannes. Ich war nur kurz abgelenkt gewesen, aber in dem Moment hatte Johannes seinen Schecken scharf gezügelt. Er blickte angestrengt in Richtung einer kleinen Lichtung, die sich vor uns auftat.
Zuerst wusste ich nicht, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Meine brennenden Augenlider machten es mir schwer, jede Einzelheit zu erkennen. Eine Art großer Leiterwagen stand nicht weit entfernt. Sein Holz war rußgeschwärzt, eines seiner Räder gebrochen.
Nichts rührte sich.
Johannes saß ab. Wir folgten seinem Beispiel.
Ich ließ den Zügel meines Fuchses zu Boden fallen, zog meinen Revolver und spannte ihn unter dem Poncho.
Als wir die Lichtung betraten, bewegte sich Johannes nach links, ich blieb in der Mitte und Clement wandte sich nach rechts. Vorsichtig und ohne jede Hast gingen wir vorwärts. Ich konnte die beiden Männer aus meinen Augenwinkeln heraus beobachten. Ich achtete darauf, dass wir eine Linie bildeten.
Clement stieß einen leichten Pfiff aus, es klang eher wie das Zwitschern eines Vogels. Johannes und ich verharrten auf unserer Position und sahen uns um. Als wir keine Gefahr erkannten, wandten wir uns Clement zu. Der hob seinen linken Arm, um uns heranzuwinken. Ich sah, wie er mit der Rechten seine Automatik an ihrem Platz in dem Schulterholster verstaute.
Wir traten neben ihn. An einen großen Felsblock, am Rande der Lichtung, war ein Mensch gebunden – oder besser gesagt, das, was von ihm übrig geblieben war. Ein teilweise abgenagtes Skelett blickte uns entgegen, Fetzen von Kleidung hingen starr gefroren an den Rippen und dem dicken Seil. Der Kopf des Toten lachte uns aus leeren Augenhöhlen an.
Als wir uns genauer umsahen, fanden wir noch weitere Überreste. Ich zählte insgesamt sieben Schädel.
„Sie sind wie wir aus der Ebene gekommen, wollten hinauf, wahrscheinlich nach Snowhill. Und sie haben hier Rast gemacht.“ Clement wies auf die Lichtung und eine halb zugeschneite Feuerstelle mit verkohlten Ästen darin.
„Sie fühlten sich sicher“, ergänzte Johannes. „Sie hatten keine Wachen aufgestellt. Und dann kamen die Rattenmenschen.“
„Woher weißt du, dass es die Rattenmenschen waren?“, fragte ich.
Clement ging zu der Leiche, die an den Fels gebunden war, streckte seine Hand aus und
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