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Im Abgrund der Ewigkeit

Im Abgrund der Ewigkeit

Titel: Im Abgrund der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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den Bruchteil eines Lidschlags auf. „Altes Wissen? Was meinen Sie damit? Eine Prophezeiung etwa?“
    Der Abt zog entschuldigend die Schultern hoch. „Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Aber machen Sie sich keine Gedanken.“
    Marga holte tief Luft. Sie wirkte beschämt und ein klein wenig verlegen. „Wahrscheinlich liege ich wirklich falsch. Wissen Sie, mein größter Wunsch ist, dass alles gut wird.“
    Die Miene des Abtes verriet kurzzeitig tiefe Besorgnis. Dann erschien ein entschlossener Ausdruck auf seinem Gesicht. „Das sind schwere Zeiten, Frau Schulz. Eine wirklich große Aufgabe liegt vor uns. Und wir können sie nur meistern, wenn wir alle zusammenhalten.“

5
     
    D as Schneetreiben hatte an Stärke zugenommen. Nur vage konnte man die wenigen Häuser der kleinen Ortschaft erahnen. Die bewegliche weiße Wand schien alles zu verschlingen.
    „Ich kann Lilith und Johannes nirgends entdecken“, sagte Asmodeo.
    „Wenn das Gemälde diesen Ort zeigt, dann heißt das, dass sich beide entweder schon dort befinden, oder aber ihn in Kürze erreichen werden.“ Der Abt versuchte, so zuversichtlich wie möglich zu klingen, aber Asmodeo entging dessen tiefe Unsicherheit nicht.
    Asmodeo deutete auf das Bild der Gegenwart. „Du solltest dich wärmer anziehen. In der Siedlung scheint es mir – gelinde gesagt – eiskalt zu sein.“
    Diesmal gelang dem Abt ein ehrliches Lächeln. „Ich gehöre nicht wirklich ins Fegefeuer. Was von mir auf der anderen Seite ankommt, ist eher eine Projektion. Es ist schwer zu erklären, …ich bin in der Zwischenwelt in etwa wie ein Schatten meiner Selbst. Die Kälte kann mir nichts anhaben.“
    „Dennoch kannst du im Fegefeuer sehr wohl verletzt oder getötet werden.“
    Das Lächeln des Abtes verschwand. „Diejenigen, die mich sehen… Ja, die können mir etwas antun, mir Schmerzen zufügen. …Hoffen wir, dass ich Clement nicht über den Weg laufe. Das Problem ist, dass ich niemals wissen kann, zu welchem exakten Zeitpunkt ich drüben ankomme. Das kann nur wenige Sekunden nach dem jetzigen Geschehen auf dem Gemälde der Fall sein, aber durchaus auch bis zu einen Tag dauern. Es gibt in dieser Beziehung keine Gesetzmäßigkeit. Jedenfalls habe ich bislang keine gefunden.“
    Eine Weile blieben die Männer in Gedanken versunken. Vor ihnen auf dem Gemälde ließ der Schneesturm nach. Die Häuser der kleinen Ortschaft traten deutlicher hervor.
    „Hast du meine Nachricht?“, fragte Asmodeo.
    Als Antwort klopfte sich der Abt gegen die linke Seite seiner Jacke, in der sich die Brieftasche befand. „Und meine Stola“, ergänzte er. „Die begleitet mich, wohin ich auch gehe.“
    „Du weißt, es gibt keine Alternative. Du musst hinüberwechseln, um Lilith und Johannes zu warnen.“
    Der Abt zupfte sich geistesabwesend am Ärmel. „Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen.“ Plötzlich lächelte er und ein geradezu spitzbübischer Ausdruck schlich sich in sein Gesicht. „Ich könnte dich ja auffordern, für mich zu beten, aber wie ich dich kenne, wäre das eine Spur zu viel verlangt. Also: Drück mir die Daumen!“
    Ohne Asmodeos Erwiderung abzuwarten, streckte der Abt seine Hand aus und versank  wie schwerelos im rötlich-braunen Strudel der Leinwand.
    Einen Lidschlag später befand sich Asmodeo alleine in der Grotte. Alles, was ihm blieb, waren die Geschehnisse, die ihm die mittlere Leinwand zeigte.
    In der Siedlung hatte es aufgehört, zu schneien. Die Häuser unter ihren dicken weißen Lasten wurden vollends sichtbar. Kein Leben weit und breit.
    Unvermittelt öffnete sich im größten Gebäude eine Tür und im Widerschein des Lichts, das aus dem Inneren des Hauses nach außen drang, sah Asmodeo eine schlanke junge Frau auf die Veranda treten. Sie hatte sich den Schal locker um ihren Kopf gewickelt. Darüber trug sie einen breitkrempigen Hut.
    „Lilith“, flüsterte er.
    Johannes folgte ihr und stellte sich neben sie. Er legte seinen Arm um Lilith, und gemeinsam blickten sie die breite Straße hinunter.
    Asmodeo vergaß jede Vorsicht. Er beugte sich nahe an das Bild heran. Seine Hände, sein Gesicht berührten fast die rötlich schimmernde Oberfläche des Gemäldes. Er beobachtete, wie Johannes etwas zu Lilith sagte und wie sie nach kurzem Zögern antwortete. Fast vermochte er, ihre Stimme zu hören. Beinahe vernahm er den Klang ihrer Worte.
    „Johannes“, flüsterte Asmodeo fieberhaft, „ihr seid in größter Gefahr. Johannes! Ich

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