Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Vorreiterrolle in Sachen Antibettlerverfügungen kommt Nürnberg zu, wo schon 1370 eine Verordnung in Kraft tritt, laut der an einheimische Bettler Lizenzen vergeben werden.
Und wer erhält – eine Konzession?
Nur Bedürftige, die unter Aufbringung glaubwürdiger Zeugen darlegen können, dass sie auf Almosen angewiesen sind. Arbeitsfähige brauchen erst gar nicht vorstellig zu werden, sie gelten als faul. Kommt der Stadtrat aber überein, dass dies nicht der Fall ist und Handlungsbedarf besteht, werden den Bewerbern Zeichen ausgehändigt, die sie deutlich sichtbar an ihrer Kleidung anzubringen haben. Fremde dürfen ohnehin nur drei Tage in der Stadt betteln und müssen ihr dann ein Jahr lang fern bleiben. Der individuelle Fall und die Herkunft, diese beiden Prinzipien werden auch in Wien –
Und wie war das in Innsbruck?
Die Nürnberger Verordnung wird beispielhaft, ähnliche findest du in vielen Städten, auch in der unseren, die ein beliebtes Ziel des Bettelvolkes ist. Hier gibt es so genannte Bettelrichter, sie haben die Aufsicht über die Armen und die städtische Almosenkasse, ferner werden Listen geführt, auf denen die Namen der Bedürftigen verzeichnet sind. Diese müssen sich einmal wöchentlich zur Almosenvergabe einfinden, eine vorbeugende Maßnahme gegen das Herumstrolchen vor Kirchen und in Häusern, was strengstens verboten ist.
Was passiert mit jenen, die dabei erwischt werden?
Na, was glaubst du? Sie haben die Stadt zu verlassen. In der Schweiz entwickelt sich dafür der Begriff Bettelfuhren, Wägen voll Bettlerinnen und Bettler rollen aus den Städten Basel, Zürich, Bern. Aber auch bei uns gelten die Bettler diversen Quellen zufolge geradezu als Plage. Mehr und mehr als Gegengesellschaft wahrgenommen, hausen sie in Kellergewölben oder in den Vororten der Städte. Tagsüber strömen sie in die Zentren, versammeln sich in großer Schar vor den Spitälern, um eine Armensuppe zu erhalten.
Darüber werden sich die Türings und Speisers unterhalten haben – und nicht über musikalische Hochgenüsse oder Herrscherhochzeiten!
Ja, das war bestimmt eines ihrer Gesprächsthemen. Vielleicht haben sie sich auch beteiligt am Geschwätz über das „liederlich Zusamenschlieefen“, wie man das Sexualleben der Bettler hierorts anprangernd nannte. Kinderreich sind die Bettlerfamilien, das steigert die Umsätze, Frauen und Kinder werden auf den Bettel geschickt, „unnutz herrenloß Gsind“, so eine damals übliche Bezeichnung. In dem Jahr, als Türing seine Werkstätte errichtet, wird in Nürnberg die Bettlerverordnung modifiziert und Bettelei als unchristlich und unwürdig unter Strafe gestellt, da man die Armenfürsorge mittels Bruderhäusern und Hospitälern als ausreichend erachtet. Das Misstrauen gegen die Bettler wächst, Ängste werden geschürt, nicht zuletzt auch von der Literatur.
III
23
Schlaraffenland ist an sich ein schönes Wort, findest du nicht?
Gerade noch hast du von der Armut gesprochen und jetzt –
Arbeit und Fleiß gelten als Sünde, denn Genießen ist die größte Tugend im Schlaraffenland, ein Reich der Tachinierer – oder wie Niklas Türing vielleicht sagen würde – des unnutz herrenloß Gsind. Er, der Steinmetz, der bis zum Umfallen gearbeitet hatte, die Hofkirche stand bis zur Fensterbrüstung aus dem Grund, als er starb, er muss sie doch verabscheut haben, die Bettler, und lag damit ganz im Trend seiner Zeit. Literarisch geprägt wird dieser Trend von der Gaunerliteratur, 1510 entsteht eines der wichtigsten Werke dieses Genres, der liber vagatorum, Der Betler orden , verfasst hat ihn der Pforzheimer Hospitalmeister Matthias Hütlin. In diesem Buch werden 28 Gauner beschrieben, darüber hinaus die Betrugsmethoden der so genannten Scheinbettler angeprangert, die sich unter dem Deckmantel der Bedürftigkeit an der Gesellschaft bereichern wollen.
Und du glaubst wirklich, dass ein Innsbrucker Maurersohn dieses Buch gelesen hat?
Nein, glaube ich nicht, aber der Titel eines anderen Werkes wird ihm zu Ohren gekommen sein, das Narrenschiff des Sebastian Brant. Dieses Buch, erstmals gedruckt 1494 in Basel, wurde zum Bestseller, Erasmus von Rotterdam beeinflusste es genauso wie Abraham a Sancta Clara und jenen Schuhmachergesellen, dessen Wanderjahre ihn durch Innsbruck führten, Hans Sachs.
Der Meistersinger?
Genau der. Sachs kommt 1513 nach Innsbruck und dient am Hof Maximilians, ist insofern einer der vielen Kollegen Gregor Türings. Zu jener Zeit ist das Narrenschiff
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