Im Angesicht der Schuld
macht sich Sorgen um Sie. Und wenn Sie mich fragen, sind die nicht ganz unbegründet. Sie sind dünn, blass und irgendwie nur noch ein Schatten Ihrer selbst. «
Aus dem Inneren eines Brötchens formte sie kleine Bälle und legte sie auf Janas Teller. » Es wird Zeit, dass Sie wieder etwas auf die Rippen bekommen. Deshalb nehmen Sie sich am besten ein Croissant und schmieren dick Butter und Honig darauf. « Ohne auf meine Reaktion zu warten, hielt sie mir den Brotkorb unter die Nase. » Riechen Sie mal! Köstlich, oder? Da können selbst Sie nicht widerstehen. «
Unweigerlich musste ich lächeln. Ich tat, wie mir geheißen, und nahm ein Croissant. Meine Kehle war zwar wie zug e schnürt, aber ich würde mir Zeit lassen. Isa und Nelli hatten Recht: Ich musste unbedingt mehr essen.
Nachdem ich eine Stunde später den Tisch abgeräumt hatte, spielte ich eine Weile mit Jana. Ich versuchte, mich auf dieses Spiel zu konzentrieren, schweifte aber immer wieder mit meinen Gedanken ab. Annette hatte sich am vergangenen Abend nicht mehr bei mir gemeldet, und wahrscheinlich würde sie es auch an diesem Tag nicht tun. Sie ging mir aus dem Weg. Würde unsere ohnehin schwierige Freundschaft diese Zeit überstehen können?
Eliane Stern, bei der ich am späten Vormittag einen Termin hatte, beantwortete mir die Frage ohne Zögern.
» Es kommt darauf an, wie offen und gesprächsbereit Sie und Ihre Freundin damit umgehen «, sagte sie. » Un d l etztendlich kommt es natürlich auf Sie an … ob Sie Ihrer Freundin verze i hen können. «
» Sie hat gelogen. «
» Was könnte sie dazu bewogen haben? «
Ich zuckte die Schultern.
» Versetzen Sie sich einmal in ihre Situation: Ganz kurz vor seinem Tod hat sie noch ein Gespräch mit Ihrem Mann, ein Gespräch, das höchstwahrscheinlich in einer heftigen Auseina n dersetzung mündete. Später hört sie, dass Ihr Mann sich vermutlich das Leben genommen hat. Was, glauben Sie, geht in diesem Moment in ihr vor? «
» Sie wird sich schuldig gefühlt haben «, antwortete ich wide r strebend. » Aber niemand stürzt sich wegen einer etwas heftigeren Auseinandersetzung in die Tiefe, Gregor schon gar nicht. Das ist blanker Unsinn, und das müsste Annette auch wissen. «
» Jetzt, mit ein wenig Abstand, wird sie das sicher wissen. Aber sie wird auch Schuldgefühle haben, weil sie Sie belogen hat. Manchen Menschen fällt es schwer, das zuzugeben. Ganz besonders Menschen mit einem hohen Anspruch an sich selbst. Vielleicht sorgt sie sich genau wie Sie, dass Ihre Freundschaft das nicht übersteht. «
» Aber warum geht sie mir dann aus dem Weg, anstatt mit mir darüber zu reden? Das macht alles nur noch schlimmer. «
» Jeder Mensch hat seine eigene Logik, Frau Gaspary. Und das Recht, den Weg zu wählen, den er selbst für richtig hält. Gehen Sie nicht so sehr von sich aus, wenn Sie das Verhalten Ihrer Freundin interpretieren. «
Ich ließ ihre Worte auf mich wirken. » Eigentlich müsste ich wissen, was es heißt, Schuldgefühle zu ha ben «, sagte ich traurig. » Mein Mann hat diesen schlimmen Unfall gehabt, und ich habe nichts davon bemerkt. Ich habe nicht wahrgenommen, wie sehr er sich gequält hat. Mir ist nur irgendwann aufgefallen, dass er überreagierte, wenn er ein Kind am Straßenrand sah. Aber das habe ich der neuen Situation zugeschrieben, in der wir uns mit Jana befanden. Ich nahm an, mit einem eigenen Kind reagiere er sensibler im Straßenverkehr. Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, rufe ich mir diese Zeit ins Gedächtnis zurück. Aber in meiner Erinnerung finde ich keinen gequälten Gregor. Wie kann das sein, Frau Stern? «
» Das ist nicht weiter verwunderlich «, antwortete sie.
» Sie hatten gerade erst eine schwere Depression hinter sich. Sie haben einen großen Kampf ausgefochten, und es hat sich sehr viel in Ihnen selbst getan. Ihr Blick war noch gänzlich nach innen gerichtet. «
» Wie allein er sich gefühlt haben muss. « Diese Vorstellung reichte aus, um mir wieder Tränen in die Augen treten zu lassen. » Er hat mir so sehr geholfen, als ich krank war, und ich … «
» Sie waren noch nicht wieder soweit, einem anderen Me n schen helfen zu können. Und ich bin sicher, Ihr Mann hat das gewusst und ganz richtig eingeschätzt. Andernfalls hätte er Ihnen von dem Unfall erzählt. Aber er wollte Sie schonen, als Sie noch einer Schonung bedurften. Es ist wichtig, dass Sie sich das bewusst machen. Sie haben Ihren Mann nicht im Stich gelassen! «
N achdem ich
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