Im Auftrag der Liebe
Vaters.
Das Glas rutschte mir aus der Hand.
Ich tupfte die Theke rasch mit Servietten trocken. »Hast du das gehört?«, fragte ich Butch und überlegte, ob das Letzte wohl meiner Fantasie entsprungen war.
»Was denn?«, erwiderte er und half mir beim Aufwischen.
»Der kleine Junge – hat der wirklich das Sweatshirt von seinem Vater an?«
»Ich glaube, das haben sie gesagt.«
Ich winkte den Barmann heran. »Lief der Fernseher hier den ganzen Tag?«
»Ja. Und die lassen mich nicht auf den Sportkanal umschalten.«
»Haben Sie zugehört?«
»Das ist ja kaum zu vermeiden. Wieso?«
»Der kleine Junge, der vermisst wird – was hat der an?«
Er machte einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht.«
Eine Frau zwei Hocker weiter tippte mir auf die Schulter. »Jeans, ein langärmeliges T-Shirt und ein Sweatshirt von seinem Vater.«
»Ein Sweatshirt von seinem Vater?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Die Polizei hat gerade mitgeteilt, dass es verschwunden ist, genau wie der Junge. Natürlich deuten die Medien jetzt an, dass das Kind darin begraben ist.«
Max trug das Sweatshirt seines Vaters! Das waren die besten Neuigkeiten, die ich seit Langem gehört hatte.
Ich sprang auf und griff nach meinem Trenchcoat. »Ich muss los, Butch.«
»Jetzt schon? So früh?«
»Es tut mir leid. Wir verschieben das auf ein anderes Mal, ja?«
Ich wartete nicht einmal seine Antwort ab, sondern sauste aus dem Restaurant und rannte zum Auto, so schnell, wie meine Absätze es zuließen.
Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren.
Ich konnte doch helfen.
Ich konnte Max finden.
Als ich schließlich die Kommandozentrale erreichte, war ich mit den Nerven am Ende.
Mein Herz schlug dreimal so schnell wie sonst, als ich das Gelände nach John O’Brien absuchte. Ich musste einfach an ihn herankommen – schließlich war es sein Sweatshirt.
Als ich mit den Stöckelschuhen auf dem unebenen Boden voranstolperte, fühlte ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Zum Glück hatte meine Mütze noch im Auto gelegen. Die passte zwar nicht so ganz zum restlichen Outfit, aber halbwegs warm angezogen zu sein war mir jetzt wichtiger.
Außerdem half sie auch dabei, meine Identität zu verschleiern. Darunter konnte niemand erkennen, dass ich blond war.
Wie sollte ich das jetzt bloß anstellen? Ich wusste nicht, wie ich den Vater von Max ansprechen sollte. Oder was ich zu ihm sagen sollte. Oder ob mich die Polizei überhaupt in seine Nähe lassen würde. Und ich konnte ihm auch nicht einfach so die Hand geben und hoffen, das Sweatshirt vor mir zu sehen. Es war schließlich mehr als wahrscheinlich, dass er nur noch daran dachte, seinen Jungen zu finden, und nicht an sein Sweatshirt. Er musste sich aber auf den Gegenstand konzentrieren, damit ich ihn finden konnte.
Wenn ich mich zuerst an die Polizei wandte, würde es mir dann gelingen, eine überzeugende Erklärung vorzubringen, ohne meine Fähigkeit preiszugeben? Oder eben meine Identität?
Das Blut rauschte mir in den Ohren, als ich mich zwischen den Presseleuten herumdrückte und versuchte, so auszusehen, als gehörte ich dazu. Gestern Abend wäre ich in der Masse der Reporter überhaupt nicht aufgefallen, aber heute schienen sie alle in Jeans und Wanderstiefeln angetreten zu sein, als ob sie höchstpersönlich auf der Suche nach dem Jungen das Unterholz durchforsten wollten.
Ein Adrenalinstoß durchfuhr mich, als ich sah, wie John O’Brien aus dem Besucherzentrum trat und auf das Kaffeezelt zuging. Die Menge teilte sich, um ihn durchzulassen.
Und zum ersten Mal kamen mir Bedenken.
Was war, wenn ich ihm die Hand schüttelte und die Leiche seines Sohnes sah? Des Sohnes, den er getötet hatte?
Aber was, wenn ich nichts tat und der kleine Junge noch lebte und irgendwo da draußen war? Verloren und einsam. Unterkühlt und hungrig.
Die Entscheidung fiel mir leicht, selbst wenn ich dafür ein persönliches Risiko eingehen musste.
Unsicher ging ich auf den Mann zu, blieb mit den Absätzen im Gras hängen. »Mr O’Brien?«, sprach ich ihn an und stellte mich ihm in den Weg.
Er sah auf. »Ja?«
»Haben Sie eine Minute für mich?«
»Sind Sie von der Presse?«, wollte er wissen.
»Nein.« Das Blut rauschte mir in den Ohren.
»Von der Polizei?«
»Nein.«
»Dann tut es mir leid, ich habe jetzt keine Zeit für …«
Meine Stimme stockte: »Ich k-kann ihn finden.«
Meine Behauptung verschlug ihm den Atem. »Das ist nicht witzig.«
Ich sah ihm direkt in die Augen. »Ich mache auch keine
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