Im Auftrag der Liebe
seufzte.
»Hast du Hunger?«, fragte Sean.
»Ja.«
Er lachte.
»Was ist daran so lustig?«
»Du. Die meisten Frauen hätten auf so eine Frage unterschwellig aggressiv reagiert.«
»Ich bin aber nicht wie die meisten Frauen.«
»Das wird mir langsam auch klar. Bist du böse auf mich?«
»Ja.«
Er zuckte zusammen.
»Und auf meine Eltern und Preston Bailey und Michael Lafferty und auf die Zahlen neun und drei.«
Er wandte den Blick von der Straße ab und sah mich an. »Neun und drei?«
»Frag lieber nicht.«
»Und warum bist du auf mich sauer?«
Ich sah ihn an. »Du bist eine Miesmuschel.«
»Eine Miesmuschel?«
»So nennen Marisol, Em und ich Männer, die nichts preisgeben. Sie machen komplett dicht und überlassen es uns, zu raten und uns auszumalen, was sie unter ihrer harten Schale wohl empfinden oder eben nicht.«
»Kann ich dann wenigstens eine gebratene Muschel sein? Dampfgegart mag ich die nämlich gar nicht.«
Ich knuffte ihn am Arm.
»Hey!«
»Abzulenken ist nur eine weitere Muscheltaktik. Du erzählst mir nichts von deiner Narbe und warum dich meine Vision so mitnimmt. Sind meine hellseherischen Fähigkeiten für dich ein Problem?«
Er presste die Lippen aufeinander. Der Scheinwerfer eines Wagens, der uns entgegenkam, warf Licht auf den inneren Kampf, den man in seinen Augen lesen konnte.
Schließlich erklärte er: »Es hat nichts mit dir zu tun, Lucy. Ich finde deine Fähigkeit toll.«
»Was ist es denn dann?«
»Ich hasse Krankenhäuser.« Er trommelte mit dem Daumen aufs Lenkrad, als er auf die Route 3A abbog. »Als du gesagt hast, dass du uns in einem Krankenhausbett gesehen hast …« Er erschauderte. »Ich hasse Kliniken, also muss es wohl etwas Ernstes sein, was mich dahin gebracht hat.«
»Und deine Narbe?«, fragte ich.
»Vor etwa einem Jahr, als ich noch bei der Feuerwehr war, gab es einen Einsatz wegen eines Autobrands. In einem Moment ziehe ich noch am Wasserschlauch, im nächsten Moment bin ich schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Mein Herz ist einfach stehen geblieben. Ich bin umgekippt. Die anderen mussten mich wiederbeleben.« Er überholte einen langsamen Kombi. »Die Ärzte haben Tausende Untersuchungen mit mir angestellt. Die Ergebnisse waren alle nicht sonderlich erfreulich. Die Diagnose lautete Kardiomyopathie, genauer gesagt, ventrikuläre Tachykardie – eine schwer wiegende Herzrhythmusstörung. Die einzige Möglichkeit, mich zu retten, bestand darin, mir einen Defibrillator direkt unter dem Schlüsselbein einzusetzen. Jetzt führen Kabel zu meinem Herzen und halten die Pumpe am Laufen.«
Ich streckte die Hand aus und hätte fast nach seiner gegriffen, um ihn zu trösten, allerdings war das Letzte, was ich jetzt sehen wollte, noch eine Vision von uns im Krankenhausbett.
»Dieser Tag hat mein Leben verändert. Ich habe mich verändert. Ich bin Feuerwehrmann, und auf einmal kann ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Ich war immer sportlich, und jetzt kann körperliche Anstrengung mich umbringen. Das hat mich als Menschen total verändert. Cara konnte mit meiner Verletzlichkeit noch viel weniger umgehen als ich, und daher ging die Sache zwischen uns so langsam in die Brüche. Sam ist der Einzige, der mich zu verstehen scheint, aber selbst er fasst mich mit Samthandschuhen an. Und jetzt, da du das alles weißt, wirst du es vermutlich genauso machen.«
»Geht es dir denn inzwischen gut?«
»Es gibt gewisse Einschränkungen, dieses Ungetüm von Narbe, und ich muss regelmäßig zum Kardiologen, das war’s aber auch schon.«
Ach, das war’s schon? »Ich werde dich deshalb nicht anders behandeln.«
»Doch, das wirst du.«
»Nein«, protestierte ich.
»Ich will nicht noch eins von diesen herrenlosen Tierchen sein, die du bei dir aufnimmst, um sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern.«
»Wäre es dir lieber, wenn man dich einschläfert?«, witzelte ich.
»Du weißt schon, was ich meine.«
Ich wurde wieder ernst. »Ja, das weiß ich. Und ich werde mein Bestes geben, um dich nicht anders zu behandeln als vorher. Ich verspreche hiermit, dass ich überhaupt keine Bedenken haben werde, dich um Hilfe zu bitten, wenn es mal wieder eine Leiche auszugraben gilt.«
Er lachte. »Ich werde dich daran erinnern, Lucy.«
Dann verstummte er einen Augenblick. »Ich habe nachgedacht. Was ich wissen will, ist, warum wir in demselben Krankenhausbett liegen und wessen Bett das ist – deins oder meins.«
»Das kann ich nicht sagen. Du hast die Hand weggezogen, bevor ich
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