Im Auftrag der Rache
Reichssoldaten das Schlachtfeld nach Überlebenden absuchten. Sie bewegten sich stets zu zweit, und wenn sie einen ihrer eigenen Kameraden fanden, der noch atmete, riefen sie nach Bahrenträgern. Wenn sie hingegen einen Khosier entdeckten, vergewisserten sie sich zuerst, dass es sich nicht um einen Offizier handelte; dann erstachen sie ihn mit ihren Speeren.
Zwei dieser Säuberungsmänner hatten nicht weit von der Stelle angehalten, wo Bull lag. Sie schauten herunter auf einen verwundeten Rotgardisten, der die Hand über die Leichen neben ihm erhob. Einer der Soldaten trat die Hand beiseite und stellte sich auf den Arm. Sein Gefährte stach zweimal zu; seine Augen waren so leer wie der graue Himmel über ihren Häuptern.
Bull schaute weg. Er war müde und hatte keine Hoffnung mehr.
Die ganze Nacht hindurch hatte er unter dem gewaltigen Gewicht des Stammesmannes aus dem Norden gelegen. Das Blut des Riesen hatte in der frostigen Luft gedampft und Bulls Körper gewärmt, während der massige Körper langsam gestorben war. Daher war ihm nicht kalt, aber der Druck gegen seinen zerbrochenen Kürass schnitt ihm die Luft ab. Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es ihm zu atmen.
Bull hatte seine ganze Schwertkunst benötigt, um diesen Giganten mitten in der Schlacht zu Fall zu bringen. Sie hatten sich wie zwei Grubenkämpfer ineinander verbissen. Bull hatte schlimme Schläge davongetragen. Es war ihm bewusst gewesen, dass er diesen Kampf kaum gewinnen konnte, aber er hatte es trotzdem geschafft, auch wenn er fast unterlegen gewesen wäre, weil seine Beine nachgegeben hatten. Mit einem perfekt gezielten Hieb hatte er den Unterschenkel des Nordmannes aufgeschlitzt und ihn dadurch gelähmt. Bull hatte die kurze Erregung des Sieges verspürt, bevor der Gigant ihn angesprungen und gepackt hatte. Sein Gewicht hatte Bull zu Boden geschleudert und ihn eingequetscht.
Blut überzog seinen rechten Wangenknochen, der zerschmettert zu sein schien. Er konnte das rechte Auge nicht mehr öffnen und auch die linke Hand nicht mehr bewegen. Trotz all seiner Kraft war es ihm nicht gelungen, den Mann von sich herunterzustoßen.
Was für ein Mist, dachte Bull. Er schaute hoch in den Nachthimmel über ihn, hörte dem schwächer werdenden Aufeinanderprallen der Waffen zu und wusste, dass er zurückgelassen worden war.
Um ihn herum lagen die Toten und Verwundeten und wurden allmählich kalt. Ein Mann weinte, andere schluchzten vor Schmerz oder Schock, weil sie Gliedmaßen verloren hatten. Ein Junge rief nach seiner Mutter und empfand keinerlei Scham mehr deswegen, dann schrie er, er sei noch nicht bereit zu sterben. Bull hörte Keuchen und geflüsterte Gebete; sie kamen nicht nur von den Khosiern, sondern auch von den Reichssoldaten. Jemand sagte mit nördlichem Akzent zu seiner Frau, er werde bald wieder bei ihr sein; er liebe sie, und es tue ihm leid, dass er sie betrogen habe. Ein anderer rief nach den verschwundenen oder tot in der Nähe liegenden Kameraden; zumindest antwortete ihm niemand.
Irgendwann erwachte der große Stammeskrieger mit einem Zittern, er war also noch nicht tot. Er spuckte Blut und schaute sich um. Seine Lippen bebten. Er versuchte seinen großen Körper zu bewegen, aber es gelang ihm nicht. Er spürte, dass Bull unter ihm lag, noch atmete, noch lebte.
In der gutturalen Handelssprache fragte der Mann, wie lange es bis zum Sonnenuntergang dauerte.
Eine Weile unterhielten sie sich miteinander.
Er sagte, er heiße Erscha und sei ein Söldner aus einem Stamm namens Sengetti, hoch droben in der kalten nördlichen Steppe.
Der Mann war bereits bewusstlos geworden, als mitten in der langen Nacht wieder Schnee fiel und sich auf ihre verdrehten Körper senkte wie ein Laken, das die Weltenmutter über sie gebreitet hatte.
Nun, im stärker werdenden Licht des neuen Tages, ächzte Erscha. Die Luft entwich zwischen seinen Lippen, als hätte er sie endlos lange eingehalten. Während der Nacht waren sie zu einer ununterscheidbaren Masse aus Blut und tauben Muskeln geworden. Abermals drückte sich der Stammeskrieger mit den Armen ab und versuchte von Bull herunterzukommen, aber es gelang ihm nicht. Beinahe hätte er Bull zerquetscht, als er sich mit einem Seufzer wieder fallen ließ.
»Ihr Khosier gebt schlechte Betten ab«, bemerkte der Stammeskrieger in seiner rauen Handelssprache.
Bull grunzte. »Und Ihr Nordmänner seid schlechte Decken.«
Es ertönte ein pfeifendes Geräusch – fast wie ein Lachen.
Bull zog
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