Im Auftrag der Rache
dann ergriff er sie. Sie schüttelten die Hände, und als Asch die seine zurückzog, packte Ché ihn plötzlich am Handgelenk. »Dann ist zwischen uns jetzt alles klar?«
Der alte Mann betrachtete sein Gesicht.
»Zumindest glaube ich, dass wir keine Feinde sind«, sagte er.
»Das reicht fürs Erste«, erwiderte Ché und lockerte seinen Griff.
Asch warf einen kurzen Blick hinüber zu Löckchen und glitt wieder hinaus in die Dunkelheit.
Als sie neben Ché stand, sah sie, wie der Farlander leichtfüßig mit dem Schwert in der Hand über das Dach lief. Auf der Straße unter ihnen tranken zwei Reichssoldaten aus einer Zisterne. Als sie weitergingen, schlich Asch ihnen nach.
Am Ende des Daches blieb er stehen und schaute hinunter auf eine Straße, die sie nicht sehen konnten. Behutsam legte er sein Schwert zur Seite, pflückte zwei Schindeln ab und hielt eine in jeder Hand.
Über dem Rand des Daches hielt er die Hände so weit wie möglich auseinander, dann schob er sie ein wenig näher zusammen, als würde er etwas abschätzen. Er pfiff hinunter.
Und ließ die beiden Schindeln gleichzeitig los.
Sofort danach kletterte er das Dach hinunter.
»Asch!«, rief Ché ihm zu.
Der Farlander hielt inne und schaute zurück. »Was ist?«
»Mögest du deinen Frieden finden, alter Mann.«
Asch schwang sich vom Rand des Daches und verschwand.
*
» Wer bist du? «, wollte der alte Priester wissen, der nur einen Zoll von seinem Gesicht entfernt stand.
Es war das tausendste Mal, dass er Bahm diese Frage stellte. Und zum tausendsten Mal sagte Bahm ihm, wer er war.
»Bahm«, keuchte er den Boden an. »Bahm Calvone.«
Es tat weh, wenn er sprach, denn die Wunde an seiner Wange war entzündet und sehr empfindlich.
»Und was ist dein Rang?«
Bahm spürte, wie sein Kopf an den Haaren zurückgezogen wurde, so dass er den alten Priester ansehen musste. Die Haut des Mannes war von tiefen Runzeln durchzogen, aber auch durch Narben entstellt, die von einer Akne aus der Jugendzeit stammen mussten. »Leutnant. Bei der khosischen Roten Garde.«
»Ja«, sagte der alte Priester besänftigend und strich ihm über das Gesicht. Sein fauliger Atem verursachte bei Bahm einen Würgereiz. Er wollte den Kopf wegdrehen. »Aber wer bist du? «
Es war heiß in dem engen Zelt. Eine Räucherpfanne brannte vor der gegenüberliegenden Wand, und Schweißperlen hatten sich auf Bahms Stirn gebildet. »Ich verstehe nicht«, schluchzte er.
Der Priester lächelte und warf einem der Akolyten hinter dem Stuhl, auf dem Bahm festgebunden war, einen kurzen Blick zu. Der Akolyt ließ Bahms Haare los, so dass sein Kopf wieder nach vorn fiel und er die bloße Erde des Bodens sah. Durch die Wimpern hindurch beobachtete er, wie ihm der Priester den Rücken zuwandte und die verwitterten Hände nach dem kleinen Tisch ausstreckte, auf dem die Phiolen, gefalteten Papiere und Messer lagen.
»Bist du ein Verräter?«, fragte der Priester, ohne sich umzudrehen.
Bahm spürte Feuer in seinem Magen ausbrechen. Er befürchtete, sich übergeben zu müssen.
»Bist du ein Verräter?«, wiederholte der Mann.
Ein Faustschlag traf ihn am Hinterkopf.
Bahm versuchte sich zu konzentrieren. Nun rann ihm der Schweiß über das Gesicht und vermischte sich mit dem Blut in seinem Mund. »Nein«, keuchte er. »Ich bin kein Verräter.«
»Ach nein? Du würdest dein Volk also niemals verraten?«
»Natürlich nicht!«
Der Priester drehte sich um. In der einen Hand hielt er ein gefaltetes Blatt Papier und in der anderen eine zierlich gebogene Klinge. »Alle Menschen sind Verräter.«
Er beugte sich zu Bahms Gesicht herunter und faltete gleichzeitig das Papier mit dem Daumen auseinander. Bahm wich zurück und hielt den Atem an. Er sah zu, wie der Priester die Lippen zusammenkniff und einmal über das Papier blies. Ein feiner weißer Staub umspielte Bahms Gesicht. In seiner Panik atmete er ein und saugte damit auch das weiße Pulver auf. Sofort wurde sein Mund gefühllos.
Farben tanzten am Rande seines Blickfeldes. Weißes Licht flackerte inmitten der sich zusammenballenden Finsternis.
Bahms Kopf rollte zurück; sein Körper wurde schlaff. Hände stützten ihn von hinten.
»Jetzt sag es mir noch einmal«, ertönte die ferne Stimme des Priesters. »Wer bist du?«
*
Ché schaute durch das Loch im Dach. Draußen dämmerte es, und der Himmel nahm eine violette Färbung an. Dichte Rauchsäulen stiegen aus neuen Brandherden in der Stadt auf. Die Luft schien dicker zu werden, als sich der
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