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Im Auftrag des Tigers

Im Auftrag des Tigers

Titel: Im Auftrag des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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langsam, denn sie hatte das Gefühl, als gehe sie auf Watte. Sie mußte stehen bleiben. Es war ihr schwindlig geworden. Na gut, aber sie hatte es geschafft. Und diesmal so knapp, daß sie bereit war, an das Eingreifen einer Kompanie von Schutzengeln zu glauben. Oder an die Fürsprache einer der kleinen Hindu-Göttinnen, die sich an den Wänden des Schlafzimmers ihrer Großmutter aufreihten …
    Sie hielt sich an den Eisenstäben fest, suchte den Riegel und schob auf. Und dachte es wieder: Wozu der ganze Aufwand?! Wer, verdammt, war auf die Idee gekommen, ihr die halbe Polizei Singapurs auf den Hals zu jagen? Es mußte ein Leck geben. Irgendwo. In der Organisation … Natürlich. Und es ging nicht um die Sampan-Aktion. Das, was sie tat, hatte ihr noch selten Freunde eingebracht. Aber allzu wichtig war es auch nicht genommen worden. Was steckte dann dahinter?
    Die Treppe hatte zehn Stufen. Neun schaffte sie. Sie setzte sich auf die letzte und versuchte gegen die Verzweiflung anzuatmen, die sie zu überfallen drohte. Sie saß und regte sich nicht. Sie regte sich auch nicht, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte und eine Stimme sagte: »Ja, was willst du denn hier draußen? Ist doch viel zu heiß. Was ist denn los mit dir?«
    Julia Andrew.
    Julia setzte sich neben sie, legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich.
    Es tat gut, sie zu spüren. Und es tat auch gut, ihr in die Augen zu sehen. Rauchgraue Augen unter dunklem Haar, in das sich einzelne graue Fäden mischten.
    Wie früher berührte sie mit dem angewinkelten Zeigefinger ihre Nase. Und so wie früher lächelte sie, und in diesem Lächeln lag alles, was es an Freundschaft, Zuneigung und dem ganzen Reichtum ihrer gemeinsamen Erinnerungen geben konnte.
    »Tut mir leid, Julia«, sagte Maya, »ich habe es mir auch anders vorgestellt …«
    »Was denn?«
    »Unser Wiedersehen. Ich bin völlig fertig, weißt du.«
    »Na, Hauptsache, du bist da …«
    »Tiger? Ausgerechnet Tiger!«
    Die Holz-Jalousien des Ateliers waren herabgelassen, so daß viele hauchzarte Lichtbalken den gekachelten Boden schraffierten. Darauf lagen gewaltige, farbige Kissen. Julia haßte Stühle. Vor dem TV-Gerät in der Ecke gab es einen einzigen Sessel. Die Zehn-Uhr-Nachrichten liefen.
    Julia stand in der Mitte des Raums vor einer ihrer Staffeleien. Angetan mit einem kaftanähnlichen Arbeitskittel wirkte sie größer, als Maya sie in Erinnerung hatte. Eine lindgrüne, anklagende Säule.
    »Richtig, Julia, Tiger …«
    Maya sah an Julia hoch, einer zu Reglosigkeit erstarrten Julia, die sich offensichtlich schwer damit tat, zu verarbeiten, was sie erfahren hatte. Das aber war noch das geringste Problem. Julia Andrew, geborene Griffith, hatte schon in ihren gemeinsamen College-Tagen, als sie im Hockey-Team als unschlagbares Stürmer-Paar auftraten, ausgeprägte Energie mit äußerst schneller Auffassungsgabe und einem konsequenten Sinn fürs Machbare und Praktische zu verbinden gewußt. Das Problem waren Mayas bleischwere Glieder und die elende Erschöpfung, die sich klebrig und dumpf in ihrem Schädel ausbreitete.
    »Ich erklär dir das noch.«
    »Erklären? Du kommst hier in diese verdammte Stadt, die jemand nun bei Gott auf die Nerven gehen kann. Und was machst du? Holst dir wegen vertrockneten Tiger-Penissen die Polizei auf den Hals.«
    »Ist doch gut, Julia.«
    »Gut? … Soll ich dir was sagen? Ich bewundere dich ja. Ich meine, ich bewundere deinen Einsatz, das Leben, das du führst und alles, was du so tust, falls es das ist, was du hören willst. Außerdem empfinde ich so etwas wie Neid. Ja, grinse nur, im Gegensatz zu meiner Herumwerkelei macht alles, was du tust, einen Sinn … Ja, und ich liebe Tiger …« Ihre Stimme klang jetzt atemlos. »Aber wenn du glaubst, du könntest irgend etwas gegen den ganzen blödsinnigen chinesischen Medizin-Hokuspokus ausrichten, bist du auf dem Holzweg. Er ist unausrottbar. Noch immer. Noch für Generationen. Du weißt es ganz genau, denn du bist hier aufgewachsen. Also, was soll der Wahnsinn?«
    »Julia, laß mich doch damit …«
    Sie blieb unerbittlich: »Als dieses Kilo Papier von dir ankam, all die Artikel und die Broschüren über das Regenwald-Problem in Südost-Asien, die du mir aus New York geschickt hast, da war ich schwer beeindruckt. Mehr sogar, mich packte der heilige Zorn. Denn es geschieht ja vor unserer eigenen Haustüre. Und die Drahtzieher sitzen hier, in Singapur. Es hat mich nicht losgelassen. Ich habe gearbeitet … Jan

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