Im Auftrag des Tigers
was nicht zum Job gehört … Hatte sie sich das antrainiert oder reagierte sie nur bei ihm so?
»Rick! Hörst du überhaupt zu?«
»Stellen wir doch richtig, Maya: Ich hab' dich was gefragt. Und du hast es vorgezogen, nicht zu antworten …«
Sie schwieg. Oben vor dem rosafarbenen Haus, als sie ihm entgegenlief, erleichtert und glücklich, da war sie ein völlig anderer Mensch, eine ganz andere Frau gewesen, die er in den Armen gehalten hatte.
Unter den Stoff seiner Jeans kroch Wärme. Das Licht ließ kleine, rote Wirbel hinter den geschlossenen Lidern spielen. Er fühlte die Kälte eines Schattens und öffnete sie. Sie.
Da stand sie vor ihm und lächelte auf ihn herab. Den kleinen, grünen Bikini mußte sie unter Shorts und Bluse getragen haben: kupferne Haut, ein tiefes, sattes, rötliches Kupfer. Doch das lag am Licht. Der lange Hals, der reiche Schwung der Brüste und der Hüften, die Schatten an Schlüsselbein und Schultern, all dieses glänzende Haar!
Perfekt. Was ließ sich sonst sagen? Eine Göttin im Mittelmeerlicht des Nachmittags. Fast zuviel Vollkommenheit. Sie ließ keine andere Regung mehr zu als Bewunderung.
»Willst du nicht baden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Komm schon, los! Komm doch mit!«
»Besser nicht.«
»Aber du wirst doch dein Badezeug eingepackt haben?«
Er wußte es noch nicht einmal. – Stimmt, er hatte. Aber da war die Narbe. Gute zwanzig Zentimeter lang. Nicht nur, daß sie ihn behinderte, ein ästhetischer Anblick war sie auch nicht gerade. Zu allem Überfluß mußte sie sich in diesem Augenblick auch noch melden. Nein, nicht unbedingt ein attraktiver Anblick.
»Geh schon.«
»Das Bein?«
»Frag mich nicht …«
Sie verzog den Mund, rannte über den Strand, vorbei an der mallorquinischen Großfamilie, vorbei an den spielenden Halbwüchsigen. Er sah ihr nach, sah sie noch weiße Gischt aufwerfen im türkisfarbenen Streifen am Ufer und dann mit flachem Sprung im tiefen Wasser verschwinden …
Pinien wuchsen über den Felsen. Die Felsen wiederum formten ein zweites, kleines Becken, dessen Wasser sehr flach war und das deshalb vor allem von Müttern mit Kleinkindern bevorzugt wurde. Die meisten spielten andächtig am Strand.
Weiter oben am Hang lag ein Mann im Schatten. Er trug graublaue Bermuda-Shorts, Gummisandalen und ein graues T-Shirt mit der Aufschrift ›Why not try it?‹ Seinen Kopf bedeckte ein Strohhut, wie man ihn auf den mallorquinischen Bauernmärkten für ein paar Peseten kaufen konnte, das Gesicht verschwand fast hinter einer großen, dunklen Sonnenbrille.
Er sah auf die Uhr. Es war jetzt siebzehn Uhr zwanzig.
Er griff in seine Badetasche und zog ein Fernglas hervor. Es war grau, klein, unauffällig, nicht größer als ein Opernglas.
Er setzte es an, ohne seine Brille abzunehmen, und ließ den Blick über das Wasser wandern. Das Okular erfaßte die fliegenden Arme Mayas, die noch immer ihre Kraulspur zur Badeplattform zog, und wandte sich dann dem Mann zu, der dort unten an der Mauer neben dem Restaurant saß.
Er nickte, schob das Fernglas in die Tasche zurück, erhob sich, hängte sich die Tasche über die Schulter und stieg den Hang zur Straßenkurve hoch. Dort parkte ein tiefblauer, kleiner Clio.
Er schloß die Fahrertür auf und ließ den Motor an. Er blieb im Leerlauf und faßte wieder nach der Tasche, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Er nahm sie auf die Knie, öffnete sie, wickelte eine Pistole aus einem Handtuch, griff nochmals zu und schob, ohne die Waffe aus der Tasche zu nehmen, einen Schalldämpfer auf den Lauf. Dann stellte er die Tasche zurück, nahm den Blick nach vorne, gab Gas und steuerte den Clio einem Waldstück entgegen, das sich zwischen einem rosafarbenen Haus und einer Baustelle erstreckte …
»Du mußt sehr vorsichtig mit Maya umgehen«, hatte ihm Mayas Freundin Judy einmal gesagt. »Sie hat eine Menge hinter sich. Sie hat ihren Vater verloren. Wahrscheinlich wurde er ermordet. Das nimmt man wenigstens an. Sie will es nicht glauben. Aber diese elende Geschichte mit ihrem Vater ist nun mal ihr wirkliches Problem.«
Ihr wirkliches Problem? Und sie hatte nie mit ihm darüber gesprochen.
Eine diffuse Melancholie hatte ihn ergriffen: achtzehn Jahre Altersunterschied. Ein hinkender Krüppel … Schleppnetze. Ölpest. Atommüll. Eine Welt, die zum Teufel geht. Und du strampelst dich ab. Als würde es etwas ändern, wenn du mit einer Stecknadel die Decke perforierst, die dich zu ersticken droht.
Es muß sich etwas
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