Im Auftrag des Tigers
geschäftlich in die Quere kommen, kann ich da Rücksicht nehmen? Nein. Und wenn Maya, die ›Verrückte‹ glaubt, dasselbe tun zu können, noch viel weniger.
Er setzte seine Teetasse zurück, legte das Kinn auf den Handrücken, versank in einen seiner gefürchteten Zustände, einen stummen, selbstvergessenen, um sich selbst kreisenden, sich langsam steigernden Zorn.
»Was ist mit dir, Philip?« erkundigte sich Harry Feng.
Philip Wang Fu schreckte hoch, drückte einen Knopf auf der Kommando-Konsole seines Schreibtisches und sagte sich: Das Maya-Problem muß gelöst werden. Bernier wird das erledigen. Der kann das. Rasch, wirksam und für immer …
Es klopfte.
»Hier, ehrenwerter Großvater …«
Tsie, Wang Fus Privatsekretärin, hatte den Raum betreten und überreichte ihm ein Dossier. Er steckte in einer blauen Plastikhülle und bestand aus wenigen Blättern.
Philip Wang Fu nickte. Tsie, den plumpen, rundlichen Leib in langen Bahnen graurosaroten Stoffes verborgen, segelte schwankend wie eine Dschunke bei hohem Seegang zur Tür zurück. Philip rief ihr nach: »Sag Bernier, er muß sich noch etwas gedulden.«
»Jawohl, ehrenwerter Großvater.«
»Auch eine deiner Nichten, nicht wahr?« fragte Harry Feng.
»Was sonst? Sie ist eine Nichte dritten Grades. Sie sollte nur ein besseres Deodorant benutzen. Oder dreißig Kilo abnehmen.«
Er legte den Bericht auf die Glasplatte und schob ihn Harry Feng zu.
Auf dem ersten Blatt klebten zwei Fotos.
Das obere zeigte eine junge Frau in einer Art Khaki-Montur. Sie schien erregt oder hatte sich über den Fotografen geärgert; die angespannte Oberlippe gab ihre Zähne preis, die Augen waren verengt. In der Hand hielt sie eine Videokamera. Sie stand auf einer Hafenmole, den Rücken gegen einen Landrover gelehnt. Der Fahrer war gleichfalls zu erkennen. Ein Schwarzer. Auch die Arbeiter im Hintergrund waren Neger. Es schien sich um einen afrikanischen Hafen zu handeln.
Das zweite Bild zeigte ganz offensichtlich dieselbe Person. Doch die Linien des Frauengesichtes wirkten kindlicher, weicher.
»Das ist sie als Mädchen, als Studentin. Bemerkenswert, nicht wahr?«
Feng nickte. Wang hatte recht. ›Bemerkenswert‹ war dazu eine dramatische Untertreibung. Ob als Mädchen oder Frau – welch ein Gesicht! Breite Backenknochen, klassisch gerade Nase, gerundete Stirn, tiefdunkle Augen, und dazu diese breiten, wunderschön geschwungenen, schwellenden Lippen, die jeden Mann zum Träumen bringen mußten. Harry Feng, der sich ein Leben lang als Kenner, Sammler und Bewunderer weiblicher Schönheit betrachtet hatte, nickte voll Ehrfurcht.
»Und wer ist der Mann?«
»Rabindra Nandi. Ihr Vater.«
Beide, Vater und Tochter, standen vor einer Taxus-Hecke, die zu einem Club-Gelände zu gehören schien. Das Mädchen trug Tennisschuhe, weiße Socken und einen kurzen Tennisrock, der Mann einen leichten, etwas zerknitterten grauen Popelinanzug, über dessen Revers er den Kragen des offenen Hemdes gelegt hatte. Er hatte ein intelligentes, schmales Gesicht, offensichtlich indischen Zuschnitts, und trug eine randlose Brille. Er lächelte seine Tochter zärtlich an, sie erwiderte den Blick.
»Die Aufnahme wurde in New York gemacht. Dort arbeitete er Mitte der achtziger Jahre als Sekretär der UN-Delegation Malaysias. Ich selbst habe ihm noch den Job besorgt. Die Nandis stammen ursprünglich aus Penang, wie meine Familie. Als mein Großvater damals nach Ipoh zog, beschloß Sulei Nandi, der Vater Rabindras, dasselbe zu tun, was sich für ihn auch lohnte. Er lebt immer noch. Heute vertritt er mich vor allem in Jorak.«
Feng betrachtete das Foto und legte den Zeigefinger auf das Gesicht des Mannes: »Und was ist aus ihm geworden?«
»Bei allen Göttern und Geistern, das ist noch so ein Kapitel … Besser, ich fange gar nicht damit an. Zu kompliziert. Nur ganz kurz: Rabindra Nandi ist im Herbst des Jahres 1992 verschwunden.«
»Einfach verschwunden?«
»Nenne es vermißt, nenne es untergetaucht, nenne es wie du willst. Der berühmte Fall: Einer geht um die Ecke Zigaretten kaufen und kommt nie wieder zurück …«
»War er denn verheiratet?«
»Witwer. Seine Frau ist gestorben. Affären waren nicht sein Fall. Er hatte andere Interessen. Er wohnte allein in einem Appartement in der 46sten Straße in Manhattan. Er traf sich am Abend mit einigen Freunden aus den UN-Teams. Er als einziger Malaie, die anderen Australier, Engländer, Deutsche. Sie saßen in seinem Lieblingsrestaurant, einer
Weitere Kostenlose Bücher