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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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unternimmt nichts, um dem heiligen Emblem der Bruderschaft – der flammenden Sonnenscheibe mit dem menschlichen Auge – wieder mit Ehrfurcht zu begegnen. Er lässt Fälschungen zu. Die Bruderschaft wird von Lug und Trug beherrscht. Und jetzt wird er sich mit seinen Knaben verlustieren und den Schriftgelehrten zugestehen, sich ihr Leben nach Lust und Laune einzurichten, was zur Folge hat, dass gewöhnliche Bürger ihren Launen ausgeliefert sind. Lass uns zurückkehren nach Lagasch, wo Ehre noch etwas bedeutet.
    »Bei Shubat«, zischelte David. »Musst du selbst hier so brabbeln? Ruf die Götter an und halt deine Zunge im Zaum.«
    Nobu ließ den Schildkrötenkopf hängen. »Mögen die Götter sich meiner jämmerlichen Seele erbarmen«, murmelte er. »Ich werde schweigen, Meister.«
    Die Amtseinführung eines neuen Rabs, des Meisters aller, die des Lesens und Schreibens kundig waren, kam fast einer Krönung gleich und ging mit viel Pomp und Zeremonie vonstatten. Da sich gleichzeitig die Gelegenheit bot, alte Freunde wiederzusehen, Neuigkeiten und Tratsch auszutauschen, war die Halle von schier ohrenbetäubendem Lärm erfüllt – man sprach über Politik und was dieser Mann für Ugarit bedeutete und warum König Shalaaman nicht anwesend war, schon weil man sich nicht erinnern konnte, dass er je bei einem bedeutenden Ereignis gefehlt hätte.
    Endlich sah David, wie Elias und seine Mutter in der der Aristokratie Ugarits vorbehaltenen Sektion Platz nahmen. Leah und auch ihre Mutter entdeckte er nicht, dafür bemerkte er die Blicke, mit denen die Reichen und Mächtigen der Stadt Elias bedachten – wie sie hinter vorgehaltener Hand tuschelten, wie einige hämisch grinsten, andere angewidert das Gesicht verzogen.
    Auf allen Lippen lag das Wort
Habiru …
    Als Oberhaupt einer der tonangebenden Familien in Ugarit – wenn auch in einer finanziell schwierigen Lage – stand Elias das Recht zu, sich in dem Bereich unweit des Throns aufzuhalten. Avigail als seine Mutter genoss ebenfalls dieses Privileg. Weil sie wusste, dass sich inzwischen die gesamte Stadt über ihre wahre Blutlinie das Maul zerriss, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, zu Hause zu bleiben, dann aber beschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie hatte ihr schönstes Gewand und ihren besten Schleier angelegt, und obwohl weder Gold- noch Silbermünzen ihre Stirn zierten und sie auch sonst keinerlei Schmuck trug (während die anderen Damen vor Geschmeide nur so funkelten), stand sie hoch erhobenen Hauptes an ihrem Platz. Es sei keine Schande, hatte sie ihrem Sohn gesagt, schwere Zeiten durchmachen zu müssen. Schändlich sei vielmehr, solchen Schwierigkeiten zu erliegen. Man dürfe nie vergessen, wer man sei. Nie das Gesicht verlieren.
    Zu Hause wurde jetzt zweifach getrauert. Kaum zwei Monate waren seit Tamars Selbstmord vergangen, Tante Rakel war vor sechs Tagen zur letzten Ruhe gebettet worden. Das Heilmittel gegen die Fallsucht hatte sie mit ins Grab genommen. Egal. Avigail bezweifelte sowieso, dass es ein solches Heilmittel überhaupt gab, und jetzt, da Yehuda offiziell in das Amt des Rabs der Bruderschaft eingeführt werden sollte und er den höchsten Rang der Schriftgelehrten der Stadt innehaben würde, war er, Fallsucht hin oder her, auch unmittelbarer Anwärter auf den Thron. Der unermüdliche Einsatz seiner Mutter, Yehuda die Krone zu sichern, die Zusagen, die sie gemacht, die Gefälligkeiten, um die sie mit mehr oder weniger sanftem Druck nachgesucht hatte, ließen den Schluss zu, dass der junge Mann, der niemals lächelte, der nächste König sein würde.
    Schon bald sogar, wenn man den Gerüchten glauben durfte. Zum ersten Mal in der Geschichte nahm der König von Ugarit nicht an der Einführung des neuen Rabs teil. König Shalaamans Abwesenheit gab Anlass, über seine mysteriöse Krankheit zu spekulieren. Manch einer wähnte ihn bereits auf dem Sterbelager und meinte, es könne sich nur noch um Tage handeln, bis der so sehr verehrte König zu den Göttern gehen würde.
    Avigail zog es vor, sich nicht mit derlei Trübsinn zu befassen. Lieber dachte sie an ihren Urenkel Baruch, der so vergnügt krähte und einen derartigen Heißhunger an den Tag legte, dass sie dies als gutes Omen für die Zukunft wertete. Wenn jetzt auch noch Saloma mit einem Sohn niederkam und somit
zwei
männliche Kinder im Haus waren, würden neben ihnen alle Probleme und Sorgen verblassen, wäre dies doch ein Zeichen, dass die Götter Elias und seiner Familie wohlgesinnt

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