Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
der ich auch meinem eigenen Vater gegenüber, dem König von Lagasch, das gleiche und vollauf berechtigte Loblied von Ägyptens Macht anstimmen werde. Nur bitte ich Deine Unübertreffliche Herrlichkeit um eine Gefälligkeit.«
Fast belustigt sah Thutmosis David lange an. »Du bist sehr kühn, Prinz von Lagasch. Weil du aber so treffend meinen brillanten Feldzug in Karmel beschreibst, werde ich deiner Bitte Gehör schenken.«
»Ich bitte dich um das Leben dieser Frau, Hoher Herr.«
Den Versammelten stockte der Atem. Blicke wurden getauscht.
»Warum ist dir das wichtig?«, fragte Thutmosis scharf.
»Sie ist meine Ehefrau, Herrlichkeit. Und es wäre für mich schmerzhaft, sie zu verlieren.«
»Ehefrauen lassen sich leicht ersetzen«, sagte Thutmosis mit einer abschätzigen Handbewegung. »Bereite den Ton für meinen Brief an Shalaaman vor.«
»Großmächtiger Herrscher …«, hob David erneut an, und die Höflinge raunten angesichts einer derartigen Respektlosigkeit, »im Gegenzug für das Leben dieser Frau kann ich dir etwas ungemein Wertvolles anbieten.«
»Es gibt nichts, was du mir anbieten könntest, um mir einen Wunsch zu erfüllen oder was ich mir nicht wann und wo auch immer beschaffen könnte.«
»Was ich anbiete, ist verborgen, und nur ich weiß, wo.«
»Sprich und mach es wahr, oder die Götter werden dich totschlagen.«
»Unser Archiv ist mit Schätzen angefüllt, Herrlichkeit. Die Legende berichtet von einem jungen König namens Ozzediah, der den Thron zu einer Zeit bestieg, da die Städte des nördlichen Kanaan ständig untereinander Krieg führten und kein Frieden herrschte, somit auch der Handel brach lag und Städte und Dörfer dem Untergang preisgegeben waren. Ozzediah war ein Mann mit Weitblick und festem Glauben, der als Zwanzigjähriger eine Expedition in das Gebirge im hohen Norden anführte, um jene Arche zu suchen, die einen Mann namens Noah und seine Familie während der Großen Flut getragen hatte. Ozzediah fand die Arche und nahm zwölf Holzspäne davon mit, um sie anschließend den zwölf Königen im nördlichen Kanaan zu schenken. Da das Holz ungemein heilig und für das Volk eine Bestätigung war, dass El nie wieder eine Große Flut über der Menschheit hereinbrechen lassen würde, schlossen die Könige Frieden untereinander. Den noch immer mit Pech beschmierten Zypressenholzsplittern soll darüber hinaus so viel Magie innewohnen, dass jeder von ihnen dem, der einen berührt, ewiges Leben gewährt.«
»Ewiges Leben erwartet mich bereits«, sagte Thutmosis und hielt sich die Hand mit der Handfläche nach außen vors Gesicht. »Ich werde beschützt.«
»Ferner zu erwähnen wäre da ein durchsichtiger blauer Stein, der dem Vernehmen nach von den Sternen stammt. Es heißt, wer immer ins Herz dieses Steins blickt, könne seine oder ihre Zukunft sehen.«
»Meine Seher deuten mir die Zukunft. Sie sagen mir, dass Ägypten für die nächsten tausendmal tausend Jahre groß und mächtig sein wird.«
»Außerdem befindet sich in Ugarits umfassendem Archiv ein aus einem unbekannten Material gefertigter alter Dolch, der, wenn man ihn an eine Schnur hängt, stets nach Norden zeigt.«
Thutmosis knurrte ungeduldig.
»Vielleicht würde Deine Herrlichkeit ein runder Kristall erfreuen, der aus einem geheimnisvollen Land jenseits des Tals des Indus stammt und winzige Gegenstände als groß erscheinen lässt und der, wenn man ihn in die Sonne hält, Feuer entfacht.«
»Halte deinen Ton bereit, Schreiber«, wehrte Thutmosis kurzangebunden ab. »Es wird Zeit, deinem König mitzuteilen, dass meine Geduld erschöpft ist. Wenn ich ihm gegenüber nachsichtig war, hat er mir das alles andere als gedankt. Dein König soll mir dafür büßen. Auf Knien soll er vor mir liegen. Und Ugarit wird dem Erdboden gleichgemacht werden.«
»Mein Gebieter«, sagte David, »in unserem Besitz befinden sich die alten sumerischen Schicksalstafeln, die vor Hunderten von Jahren aus jenem Land hergebracht wurden. Bestimmt hast du von der ungeheuren Macht gehört, die diesen Tafeln innewohnt.«
Noch ehe der Pharao ihm Schweigen gebieten konnte, verbreitete sich ein seltsames Geräusch durch die rauchgeschwängerte Luft. Alle wandten sich dem Scheppern der heiligen Handrassel zu, einem Instrument, mit dem die Priesterinnen der Isis die Gegenwart der Göttin verkündeten. Als Leah aufschaute, sah sie, dass sich, wie von einer Brise erfasst, die Leinenvorhänge hinter dem Thron bauschten. Schweigen breitete sich unter den
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