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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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sich in seine Hand. Er sah sie einen Augenblick länger an, sah den Himmel über ihnen, sah sich und Leah hoch über der fernen Stadt stehen und die Welt unter ihnen liegen, so als wären sie Götter. Eine so mächtige Welle widersprüchlichster Gefühle schlug über ihm zusammen, dass er zunächst keinen Ton herausbrachte.
    Dann zwang er sich, einen Blick auf die Tafel zu werfen, auf die Unterschrift, die er als die eines wohlhabenden Importeurs von afrikanischem und indischem Elfenbein erkannte. Daraufhin las er den Text.
    Leah spürte, wie die Nachmittagshitze durch ihre Kleider drang. Ihre Haut aufheizte, sie entflammte. Davids Oberkörper glänzte schweißnass. Seine Arme, die ausgeprägten Muskeln hoben sich gegen die Sonne ab. Einmal mehr stellte sie fest, dass sein Körper nicht dem eines Schreibers entsprach, sondern vielmehr dem eines Mannes, der hart arbeitete, der Streitwagen baute und Brücken, anstatt Ritzstifte in feuchten Ton zu drücken. Die Hitze schien ihr das Atmen zu erschweren, sie musste sich zwingen, Luft zu holen.
    Als er den Kopf hob und seine dunklen Augen den ihren begegnete, durchfuhr sie ein eigenartiger Stich, gefolgt von einem süßen Schmerz. Ein schier unbezähmbares Verlangen stieg in ihr auf. Sie wusste, dass dies verboten war. Sie bemühte sich nach Kräften, diesen Mann nicht zu lieben.
    »Er drückt sein Bedauern aus«, sagte David. »Der Elfenbeinhändler und seine Gemahlin können nicht an deiner Hochzeit teilnehmen.« Als er die Enttäuschung in ihren Augen sah, fügte er hinzu: »Das tut mir leid.« Wie Leah, wie alle anderen in der Familie fragte er sich, ob überhaupt jemand der Einladung Folge leisten würde.
    Urplötzlich überkam ihn der Wunsch, sie in die Arme zu schließen, sie zu trösten, sie vor einer grausamen Welt zu beschützen. Er war in sie verliebt. In sie, die in vierzehn Tagen heiraten sollte.
    »Danke«, sagte sie. »Ich werde es Großmutter ausrichten.« Die Gästeliste wurde mit jedem Tag kürzer.
    Sie vermochte sich nicht zu bewegen.
Wollte
es gar nicht. Sie wollte für den Rest ihres Lebens in Davids beruhigender Gegenwart verharren. Sie schaute auf die Tafeln, die in der Sonne trockneten. Sie kannte ihre Bedeutung. Ihr Vater verwendete ebenfalls Pfandscheine, auch wenn sie in letzter Zeit kaum noch etwas wert zu sein schienen.
    »Ich werde sie dazu verwenden, um mir einen Bürgen für meine Aufnahme in die Bruderschaft zu sichern«, sagte David. »Es sind Gefälligkeiten des königlichen Hauses von Lagasch. Irgendjemand wird sie zu schätzen wissen und mir helfen.«
    »Gewiss«, sagte sie leise und rang um Atem. Die Hitze, David, der in der Sonne wie eine Götterstatue leuchtete, eine weitere Einladung, die abschlägig beantwortet wurde …
    Er ließ sie nicht aus den Augen. Regungslos stand sie da, wirkte verloren, so als ob die Hitze und diese Tafel des Elfenbeinhändlers sie aller Energie beraubt hätten. Sein Herz flog ihr zu. Aber er unterdrückte sein Begehren. Sie war für einen anderen Mann bestimmt und er für das Amt des Rabs der Bruderschaft.
    »Ich wünschte, ich könnte lesen«, sagte Leah unvermittelt. »Es muss wunderbar sein, einen Blick auf die Zeichen zu werfen und ihre Bedeutung zu verstehen.«
    Wenn er bislang an Frauen gedacht hatte, dann ausschließlich in Verbindung damit, dass sie über ein Hauswesen geboten, Söhne austrugen und einem Ehemann gegenüber ihre Pflicht erfüllten. Frauen und ihre Welt waren für ihn ein Geheimnis. Nie hatte er überlegt, was sie wohl dachten, worüber sie sprachen, welche Ansicht sie vertraten. Bislang. Leah hatte seine Neugier geweckt – er ertappte sich dabei, dass er sich fragte, was sie sich erhoffte, was sie sich erträumte, ob sie ehrgeizig, und sogar, ob sie glücklich war. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass Frauen Verstand besitzen könnten.
    »Als ich ein Junge war«, hob er an, um ihr seine Leidenschaft verständlich zu machen und ihr, auch wenn sie sich niemals näher kommen würden als hier und jetzt, zumindest diesen Teil seiner Seele zu offenbaren, »war mir der Unterricht zuwider. Ich wollte kein Schriftgelehrter werden. Andere Jungen spielten und gingen fischen, mir dagegen, einem Prinzen des königlichen Hauses, der ein gelehrter Mann zu werden hatte, war so etwas untersagt – ich musste mich mit meinen Tontafeln beschäftigen. Die Zeichen sagten mir nichts. Ich schrieb von Vorlagen ab, drückte meinen Stift mal so und mal so in den Ton, wie es unsere Lehrer eben

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