Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
Vom Netzwerk:
und Sägeblätter in sein Fleisch. Seine Finger waren zerfetzt, blutüberströmt, zermahlen vom Betonboden. Der kleine war mit Sicherheit gebrochen, am Zeigefinger klaffte ein langer Riss, und alle waren rot geschwollen.
    Das wird schon. Das kommt wieder in Ordnung. Finger verheilen. Man kühlt sie, man verbindet sie und geht ins Krankenhaus. Aber zuerst musst du hier rauskommen.
    Tom versuchte, nur seine Bauchmuskeln zu benutzen, als er sich vorsichtig aufsetzte. Die Welt drehte sich, in seinem Kopf hämmerte ein hohler Schmerz. »Ich schwöre«, sagte er, »ich schwöre, dass wir das Geld da reingetan haben. Ich habe keine Ahnung, wo es ist.«
    Jack nickte nachdenklich. »Weißt du was? Ich glaube dir. Du hast wirklich keine Ahnung, wo es ist.« Er kniete sich neben Tom hin. »Aber weißt du noch was? Ich wette, Anna hat eine Ahnung.«
    Bevor Tom begreifen konnte, was das bedeutete, schwang die Hand mit der Pistole nach vorne, und alles wurde schwarz.
     
    Pulsierender Schmerz.
    Ein unerträgliches Brennen in Toms Hand, regelmäßige Stromstöße, die direkt in sein Herz fuhren. Seinem Kopf ging es kaum besser. Er klammerte sich an die Fetzen seines Bewusstseins. Sein erster Gedanke war, dass er schon lange keinen so schlimmen Kater mehr gehabt hatte. War er etwa auf dem Sofa eingeschla –
    Auf einmal war alles wieder da. Tom riss die Augen auf und fuhr ruckartig in die Höhe, doch ein scharfer Schmerz schmetterte ihn zurück. Langsam. Lass dir Zeit. Er saß in einem Sessel. In Will Tuttles Sessel. Also war er in Wills Wohnung, unten im Haus. Er saß einfach nur da, die verletzte Hand auf die gesunde gestützt. Allein. Wo war Jack?
    Und im nächsten Moment: Wo war Anna?
    Oh Gott.
    Die Fantasie entfaltete sich im Bruchteil einer Sekunde zu einem Horrorfilm im Schnelldurchlauf: Anna mit ausgestrecktem Arm und aufgerissenem Mund, den Kopf zurückgeworfen, und Jack, der den Fuß hebt. Oder so: Jack wirft sie auf den Boden und knöpft sich die Hose auf, Toms Frau schreit um Hilfe, während er nebenan bewusstlos im Sessel liegt …
    Noch einmal versuchte er, sich aufzusetzen. Der Schmerz überspülte ihn wie eine Welle, und Tom ließ sich davon mittragen, kniff die Augen zusammen und biss die Zähne aufeinander. Der Schmerz war unwichtig. Wenn Anna hier war, musste er ihr helfen. Und dazu musste er aufstehen. Und selbst wenn sie noch nicht hier war, würde sie bald kommen.
    Ein Geräusch aus dem Flur. Die Kühlschranktür. Jack war also in der Küche. Offenbar hatte er sich sicher gefühlt, als Tom bewusstlos im Sessel lag, und ihn einfach liegen gelassen. Es war pures Glück, dass er im richtigen Moment aufgewacht war. Tom umklammerte den linken Arm mit dem rechten und stand auf. Der Boden schwankte, bevor er sich langsam stabilisierte. Was nun?
    Vielleicht konnte er aus der Vordertür fliehen – aber was, wenn Anna heimkehrte, bevor die Cops eintrafen? Okay, vielleicht würde er sie auf dem Handy erreichen – aber genauso gut konnte sie in der U-Bahn sein, wenn nicht sowieso der Akku leer war …
    Nein. Tom konnte nicht abhauen, ehe sie beide in Sicherheit waren. Also, was dann? Vielleicht das Telefon? Keine Chance, der Anschluss war in der Küche. Toms Handy lag in seiner Tasche, aber die sah er nirgends. Das Zimmer war fast leer, bis auf den Sessel, das Hi-Fi-Möbel mit dem Fernseher und eine Lampe. Toms Augen wanderten über den Kamin, über die Regale bis in den Flur. Da. Der Werkzeugkasten. Nach seiner vergeblichen Suche hatte er ihn im Flur stehen gelassen.
    Tom ließ sich keine Zeit zum Nachdenken, er befahl seinen Füßen einfach, sich zu bewegen. Ein Schritt. Noch einer. Zitternd beugte er sich zu dem orangefarbenen Plastikkasten hinab. Die Verschlüsse standen offen, Gott sei Dank war er neulich ziemlich in Eile gewesen. Tom streckte automatisch die näherliegende Hand aus, die linke. Der gebrochene kleine Finger streifte den Deckel des Werkzeugkastens, und sofort explodierten knallbunte Sterne hinter seinen Lidern. Er wollte keuchen, heulen, schreien, fluchen, er wollte die Wand eintreten. Aber er hielt den Atem an und blieb völlig still.
    Mach schon! Du hast keine Zeit zu verlieren. Los, mach schon, sei ein Mann . Mit knirschenden Zähnen zwang er seine rechte Hand, sich zu bewegen und vorsichtig den Deckel aufzuklappen. Gut. Im obersten Fach lag eine Ansammlung kleinerer Werkzeuge: eine Nadelzange, ein Spannungsmessgerät und eine winzige Taschenlampe, daneben eine Handvoll übrig gebliebener

Weitere Kostenlose Bücher