Im Bann der Dämonin
vorsichtig den gebrochenen Daumen.
„Danke, Fürst der Finsternis, dass du mich leben lässt“, flüsterte sie. „Mich und meinen Haushalt.“
Im Haus war es still, doch plötzlich öffnete sich im hinteren Teil des Palazzo eine Tür. Massimo kam herausgerannt. Er riss die Augen auf, als er im fahlen Licht seine Herrin dort sitzen sah, voller Blut. Er blinzelte und betrachtete schluckend ihre schlaff herunterhängende linke Hand und die Handschelle, die an ihrer rechten baumelte.
„Sie sind zurück, baronessa ! Aber was ist passiert? Wir haben schon das Schlimmste befürchtet. Wir dachten, die Engel hätten Sie mitgenommen!“
„Es geht mir gut“, presste sie hervor. „Sie hatten mich gefangen, aber ich bin ihnen entkommen. Als ich aus der Erlöserkirche zu unserem Boot kam, war es leer. Du warst nicht da!“
Sie strich mit ihrer gesunden Hand über das fein geschnitzte Holz des Sessels. Die vertrauten Möbel wirkten tröstlich. Ein Stück Solidität in dieser Welt der Vergänglichkeit. Sie wollte Massimo am liebsten umarmen, ihn beschützen. Der Gedanke, ihn jemals zu verlieren, war so schlimm wie die Vorstellung, ein Kind oder einen Bruder oder eine Schwester zu verlieren.
Und doch stand auch nach den vielen Jahrhunderten, die sie gemeinsam miteinander verbracht hatten, eine gewisse Formalität zwischen der Adeligen und ihrem Diener. Die unsichtbare Trennungslinie des Klassenunterschieds, der in der modernen Welt nicht mehr vorhanden war, trennte sie noch immer.
„Ich wurde angegriffen, als ich vor der Kirche auf Sie wartete“, berichtete der Türhüter. „Der Angreifer schnürte mich zusammen wie ein Paket und warf mich in die Adria. Ich wäre ertrunken, wenn er die Schnüre fester verknotet hätte. So aber konnte ich mich befreien und an Land zurückschwimmen. Ich habe überall nach Ihnen gesucht und war schließlich davonüberzeugt, dass der Angreifer Sie wohl geschnappt hat.“
„Das hat er auch. Ich bin ihm nur mit viel Glück entkommen. Wo sind die anderen?“
„Immer noch unterwegs, auf der Suche nach Ihnen.“
„Ruf sie zurück. Die Qualen sind vorbei. Konntest du den Angreifer sehen?“
Massimo schüttelte den Kopf. „Er war zu schnell. Ich habe keine Ahnung, wer es war.“
„Er ist ein Mitglied der Kompanie der Engel. Sein Name ist Brandon.“
Kaum hatte sie seinen Namen erwähnt, fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe. Sie schloss die Augen und wartete, bis die Übelkeit vorbei war.
„Was hat er Ihnen angetan, baronessa ? Ihre Hand! Und was ist mit Ihrem Rücken geschehen?“ Sacht nahm er sie an den Schultern und drehte sie etwas, um die Verletzungen zu betrachten.
Dann ging der Türhüter zu einer Schublade, holte eine Nadel heraus und löste die Handschellen. Luciana untersuchte den Daumen und zuckte bei der Berührung vor Schmerz zusammen.
„Es geht mir gut“, sagte sie noch einmal. „Es wird schnell verheilt sein. Das weißt du doch. So ist es immer bei den Körpern der Unsterblichen.“
Sein prüfender Blick sagte ihm etwas anderes.
Es ging ihr nicht gut. Doch er wusste, dass man ihr besser nicht widersprach.
„Was wurde aus der Jagd? Ich gehe davon aus, dass Sie Ihr alljährliches Opfer darbieten konnten.“
Zum ersten Mal in zweihundertfünfzig Jahren gab sie keine Antwort.
Massimo wurde leichenblass.
In seinen grünen Augen schien sich Lucianas eigene Furcht zu spiegeln.
„Vielleicht können wir Satan ja noch besänftigen“, überlegte er schnell. „Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“
Luciana nickte. „Geh und finde einen Menschen für mich. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
Zu ihrer Überraschung leuchteten seine Augen bei ihren Worten auf. „Das wird nicht nötig sein. Wir haben bereits einen Menschen im Haus. Das sollte genügen.“
Luciana erinnerte sich an den Frauenschrei, den sie nach ihrer Rückkehr aus Amerika gehört hatte. An den Schuh und die Blutspur. Sie schluckte und überlegte, was die Türhüter wohl mit dieser Frau gemacht hatten und wieso sie sie hierbehielten …
„Die Türhüter halten sie sich als Spielzeug. Es waren die anderen, baronessa . Ich schwöre Ihnen, ich habe sie nicht angerührt. Ich …“
„Erspar mir die Details. Hol sie einfach!“
Was die Türhüter in ihrer freien Zeit taten, interessierte Luciana nicht. Im Moment war nur eines wichtig: wie sie ihre Verpflichtung Satan gegenüber einlösen konnte.
„Halt dich von diesem Haus fern, mein liebes Mädchen!“
Das waren die Worte von Violetta
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