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Im Bann der Dämonin

Im Bann der Dämonin

Titel: Im Bann der Dämonin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Chong
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war selbst überrascht über die Härte ihrer Worte. „Bringen Sie es so schnell wie möglich über die Bühne. Stehen Sie nicht herum und reden Sie nur davon!“
    „Du willst sterben?“
    „In diesem Haus will ich nicht am Leben bleiben. Und wenn Sie mich nicht freilassen, suche ich lieber die Erlösung im Tod. Das ist mein einziger Trost.“
    „Die Seele stirbt nicht, mein Kind. Der Tod ist nicht das Ende.“
    Violetta reckte trotzig das Kinn. „Das werde ich dann selbst herausfinden. Der Satan kann keine Seele behalten, die das nicht verdient hat.“
    Die Frau zögerte und sah Violetta tief in die Augen.
    Nach einer langen Weile sagte sie: „Leider, meine Liebe, ist das nicht immer wahr.“
    Sie nahm ein Messer, das neben ihr auf dem Tisch lag.
    Violetta sah, wie sich das Gesicht der Frau anspannte. Sie zögerte.
    Dann spürte sie die zitternde Klinge an ihrem Hals.
    Spürte die rasiermesserscharfe Spitze, die ihr die Haut aufriss.
    Spürte, wie sie dem Boden entgegensank, während die Frau sie auffing.
    Sie wollte schreien. Aber sie biss die Zähne zusammen und gab keinen Ton von sich.
    Ich werde ihnen nicht die Befriedigung verschaffen, meine Qualen herauszuschreien. Diesmal nicht .
    Tausend Gefühle, tausend Bilder rauschten ihr durch den Kopf, als sie starb.
    Kummer. Bedauern. Sorge.
    Die Gesichter ihrer Familie. Ihre Mutter, ihr Vater, ihr Großvater tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Ihre lächelnden Freundinnen, ihre Gesangslehrer, Sängerkollegen aus der Oper. Alle Tonleitern, die sie je gesungen hatte, alle Arpeggien und Solfeggien, alle Arien. Jede einzelne Stunde, die sie alleine zu Hause geübt hatte. Jede einzelne Unterrichtsstunde, die sie in den kleinen Proberäumen am Konservatorium gehabt hatte. Endlose Proben und Aufführungen in Opernhäusern in ganz Italien. In den letzten Augenblicken ihres Lebens empfand sie eine große Sehnsucht, sich an all diesen Menschen und Erlebnissen festzuhalten.
    Mit dem letzten, röchelnden Atemzug, den sie tat, dachte sie: Wenn ich nur immer so weitermachen könnte.
    Und dann folgte eine unermesslich lange Pause. In diesem Moment wurde ihr klar: Das werde ich auch.
    Violetta Ravello warf sich dem Tod entgegen mit der Inbrunst eines Mönchs, der sich selbst in Brand gesteckt hatte, oder eines Märtyrers, der von Pfeilen gespickt war. Im Namen alles Göttlichen begab sie sich in die Hände einer höheren Macht. Sie setzte ihr Vertrauen in das, was sie auf der anderen Seite erwartete.
    Im Moment ihres Todes hörte sie einen einzigen, hohen Ton erklingen, die süßeste Musik, die sie jemals vernommen hatte. Ein Ton wie ein Lichtstrahl am Ende eines Tunnels, der nur aus Klang bestand.
    Der Lärm war unerträglich, als Luciana das Messer in Violettas weiche Haut rammte. Es fuhr durch ihre Kehle wie durch Butter. Mit einem schnellen gekonnten Schnitt durchtrennte sie dem Mädchen Halsschlagader und Luftröhre. Das Blut schoss aus der Kleinen heraus und bildete auf dem Marmorfußboden eine rote Lache.
    Unerklärlicherweise hätte Luciana am liebsten um dieses arme, schwache menschliche Wesen geweint.
    Dabei hatte sie so etwas schon so oft getan. Unzählige Male.
    So viele Opfer fanden durch ihre Hand den Tod, doch nie hatte sie dabei auch nur einen Funken Reue empfunden. So viele unschuldige Seelen hatte sie Satan dargebracht.
    Es war absolut unangebracht, dass sie ausgerechnet jetzt Mitleid verspürte.
    Sie hielt den Kopf des sterbenden Mädchens. Violetta schloss die Augen zum letzten Mal. Luciana streichelte ihr langes braunes Haar, dessen Spitzen in die Blutlache hingen, und flüsterte ihr ins Ohr: „Ruhe in Frieden, meine Liebe. Oder was dem am nächsten kommt.“
    „Sie stirbt so friedlich. Sie wehrt sich gar nicht.“ Auch Massimo schien ergriffen zu sein.
    Und tatsächlich: Sie zuckte nicht. Sie schrie nicht, und sie weinte nicht. Sie bettelte nicht um Gnade.
    Luciana hatte schon alles erlebt, wenn sie ihren Opfern beim Sterben zusah. Groß. Klein. Mächtig. Schwach. Berühmte Persönlichkeiten und zurückgezogen lebende Eigenbrötler. Industriemagnaten und Straßenkehrer. Doch von allen verschiedenen Todeskämpfen, die sie gesehen hatte, war der dieses Mädchens der würdigste. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
    Vielleicht war es am Ende doch das Richtige, befand Luciana.
    Jung. Zart. Unschuldig. Für immer in dieser grandiosen Un- schuld der Jugend konserviert.
    Violetta, die Glückliche. Ihr wurde der Schmerz des Daseins erspart. Weiterer

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