Im Bann der Dämonin
Ravellos Großvater gewesen, die er ihr jedes Mal ins Ohr geflüstert hatte, wenn sie an dem Palast aus Stein und Marmor und mit dem schönen Garten vorbeikamen, der gleich am Canal Grande stand.
„Dieses Haus ist noch mehr verflucht als die berühmte Ca ’ Dario “, hatte ihr Großvater immer gesagt. Beide erschauderten bei der Erwähnung des inzwischen leer stehenden Palazzo, dessen Besitzer ein tragisches Ende gefunden hatten. „Selbst die Gondoliere bekreuzigen sich, wenn sie daran vorbeifahren.“
„Wieso?“, hatte Violetta gefragt.
„Niemand erinnert sich genau“, erklärte dann ihr Großvater und legte die Stirn in Falten. „Das Einzige, was man weiß, ist, dass dort das Böse herrscht.“
Violetta wusste nicht, wie viele Hundert Male sie an dem Palazzo vorbeigegangen war. Doch jedes Mal, wenn sie mit dem Vaporetto auf dem Weg zu ihrem Gesangsunterricht im Opernhaus an der reich verzierten Fassade vorbeikam, hoffte sie, einen schnellen Blick auf die schönen Männer und die Frau zu erhaschen, die sie manchmal durch die Fenster hindurchsah.
Das, was sie sah, wirkte nicht böse auf sie.
Sie fand den Palazzo wunderschön und romantisch.
Inzwischen war sie einundzwanzig und wusste, dass nichts davon stimmte.
Ihr Großvater hatte recht gehabt.
Sie war in diesem Haus gefangen und ein Opfer des Bösen geworden. Die Männer, die sie hier gefangen hielten, zerstörten nach und nach ihre Seele, ihr Leben. Nichts war mehr real, sie konnte nicht mehr unterscheiden zwischen dem, was echt war und was nicht. Sie wusste nur, dass sie diese Männer hasste, deren Spielzeug sie geworden war, die sie zwangen, bei ihren perversen sexuellen Spielchen mitzumachen.
Diese Männer waren keine Menschen.
Diese Männer waren etwas anderes. Das Böse.
„Du wirst so viel Lust empfinden, wie du es dir in deinen wildesten Fantasien nicht vorstellen kannst“, hatten sie ihr versichert. „Wenn du kooperierst. Wenn du tust, was wir wollen.“
Sie hatte sich geweigert. Bis es nicht mehr ging.
Nun stand sie im Halbdunkel des piano nobile und rechnete fest damit, dass sie in dieser Nacht sterben würde. Das große Zimmer war anders als die Quartiere der Dienerschaft, in denen man sie in den vergangenen Wochen festgehalten hatte. Die Frau, die hier im Halbdunkel vor ihr stand, war die schönste Person, die sie kannte. Es war die Frau, die Violetta so oft durch die Fenster gesehen hatte. Sie war nur wenige Jahre älter als sie selbst, doch sie schien um ein Vielfaches schlauer und erfahrener zu sein. Sie bewegte sich mit einer außerirdischen Anmut, wie eine Traumgestalt.
Und doch stand in ihren schönen Augen etwas Seltsames geschrieben.
Etwas unerklärbar Scharfes und Dunkles funkelte darin.
„Da ist das Mädchen. So, wie Sie sie mögen – jung und unschuldig“, sagte Massimo, der sie locker am Ellbogen festhielt. „Wie heißt du, Kind?“
„Violetta.“
Die Frau kam näher und betrachtete sie, dann nahm sie Violettas Kinn in die Hand und drehte ihr Gesicht hin und her. „Ich kenne dich. Du bist …“ Sie presste die Lippen zusammen und überlegte. „Ich habe dich im La Fenice singen hören. Du bist Sopranistin. In der letzten Spielzeit hast du die Tosca gegeben.“
„Ja, das stimmt.“
„Du warst gar nicht schlecht für dein Alter. Einer der Stars von morgen, wenn ich mich nicht irre.“
Violetta sagte nichts. Bei dieser Frau, in deren Haus sie so viele Qualen erlitten hatte, würde sie sich sicher nicht für ein Kompliment bedanken. Diese Frau hielt sie gefangen und hatte vor, sie umzubringen. So viel war klar.
„Was hat sie hier zu suchen?“ Die Frau sah Massimo an und wartete auf seine Antwort. „Was habt ihr ihr angetan?“
Schweigen.
Es war Violetta nicht möglich, sich selbst zu den Geschehnissen zu äußern. Diese Erlebnisse hatte sie in ihrem Inneren; sie wollte all die Scham, Wut und Qualen nicht noch einmal erleben.
„Womit habt ihr dieses Mädchen gequält?“ Normalerweise interessiert es mich nicht, was die Türhüter in ihrer Freizeit treiben. Aber das hier ist etwas anderes. Sie ist wirklich sehr begabt.“
„Ich habe dabei nicht mitgemacht“, sagte Massimo leise.
Violetta drehte sich zu ihm um und starrte ihn wütend an. Aber du hast es zugelassen. Du hast danebengestanden, als die anderen all das mit mir gemacht haben. Du hast es nicht verhindert .
„Lassen Sie mich gehen!“, flehte Violetta plötzlich. „Das steht nicht zur Debatte.“
„Dann töten Sie mich.“ Sie
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