Im Bann der Dämonin
noch.
„Alles ist bestens, Massimo“, beteuerte sie noch einmal, obwohl es gelogen war. „Ich hatte eine kurze Begegnung mit unseren Feinden, habe aber keinen dauerhaften Schaden davongetragen. Jetzt gibt es nur eins, das zählt: Ich habe es rechtzeitig nach Hause geschafft, um dem alljährlichen Erlöserfest beiwohnen zu können.“
„Natürlich, baronessa .“ Auf Massimos schönem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. „Sie sind eine starke Frau. Und Sie haben die Unterstützung Ihrer untergebenen Diener, von uns Türhütern. Denken Sie denn, Sie haben genug Kraft für die Jagd?“, fragte er sie besorgt. „Wenn nicht, kann ich das Personal zusammentrommeln, und wir kümmern uns um die Sache, wenn Sie es wünschen.“
„Nein, Massimo.“ Luciana rieb sich die Schläfen.
Die Türhüter, niedere Dämonen, die in ihren Diensten standen, waren zufälligerweise alle sehr jung, Italiener, männlich und außerordentlich hübsch anzusehen. Als Hauspersonal und Dienstboten machten sie ihre Sache gut. Aber wenn es darum ging, ihre eigenen Pflichten zu erledigen, konnte – und wollte – sie ihnen nicht trauen.
„Mach dir keine Gedanken. Ich muss mich nur ein paar Stunden ausruhen. Heute Abend bin ich sicher wieder völlig hergestellt. Bis dahin ist es noch eine Ewigkeit. Es besteht keine Notwendigkeit, dass das Personal mir eine Verpflichtung abnimmt, die zu erfüllen ich selbst in der Lage bin.“
Massimo nickte und konzentrierte sich darauf, das Boot durch den Canal Grande zu steuern.
„Eine Aufgabe, die ich außerdem persönlich erfüllen muss“, fügte sie hinzu.
Kurze Zeit später, als das Boot unter der Rialto-Brücke hindurchglitt, setzten bei ihr Kopfschmerzen ein. Die Brücke ließdie schmerzhafte Erinnerung an den Mann zurückkehren, der für ihre überstürzte Abreise aus den Vereinigten Staaten verantwortlich war. In der Nähe dieser Brücke hatte sie vor über zweihundert Jahren ihren ehemaligen Liebhaber kennengelernt. Damals war sie gerade mal siebzehn Jahre alt gewesen und immer noch unschuldig. Noch frisch und jung. Noch ein Mensch.
Und dann hatte Julian Ascher alles ruiniert.
Es war ein greller, stechender Schmerz, der in ihren Schläfen pulsierte. Mit den Fingern umklammerte sie die kleine gläserne Phiole, die sie an einer feinen Goldkette um den Hals trug. Das Einzige, das sie bei ihrer überhasteten Rückreise aus Amerika hatte mitnehmen können. Der Inhalt dieses kleinen Fläschchens würde ihr behilflich sein bei dem, was ihr größter Wunsch war.
Rache.
Sie war nach Amerika gefahren, um Rache zu üben. Und war erbärmlich gescheitert.
Ihr Plan war es gewesen, Julian Ascher für all das büßen zu lassen, was er ihr angetan hatte. Dafür, dass sie eine Dämonin geworden war – denn nur seinetwegen war es dazu gekommen. Obwohl dieser Plan gescheitert war, wäre es ihr zumindest beinahe gelungen, den frischgebackenen Engel zu töten, mit dem es Julian inzwischen trieb – ein idiotisch unschuldiges Mädchen namens Serena St. Clair. Und nachdem Luciana auch das misslungen war, hatte sie es nur mit Mühe geschafft, der Kompanie der Engel zu entwischen.
Doch sie hatte es trotz aller Widrigkeiten nach Hause geschafft.
Erschöpft. Ausgelaugt. Aber immer noch am Leben.
Julian Ascher wird mir das noch büßen, dachte sie hasserfüllt. Und die Kompanie der Engel auch .
An ihnen allen würde sie sich rächen. Dieser Wunsch hielt sich eisern in ihrem Inneren. Hatte sie erst einmal ihre alljährlicheJagd beendet, konnte sie sich darauf konzentrieren, endlich ihre Rache zu Ende zu bringen.
Bei dem Gedanken musste sie lächeln.
Das Boot kam unter der Brücke hervor, war wieder in der Sonne.
Luciana hob den Kopf und betrachtete die Palazzi, die in all ihrer bröckelnden Eleganz den Kanal säumten. Der Tag war noch jung und bot endlose Möglichkeiten. In den verwinkelten Gässchen Venedigs wimmelte es von Menschen, die Vorbereitungen für die abendlichen Feierlichkeiten trafen.
„Sie sehen schon viel besser aus, baronessa “, hörte sie Massimo sagen.
„Danke, Massimo. Die Stadt ist Balsam für meine Seele. Und das Erlöserfest ist mir immer eine große Freude.“
Das Feuerwerk und die Ehrungen der Jungfrau Maria stell-ten das Highlight jedes Sommers dar. Dann drängten sich mit Girlanden geschmückte Boote auf dem Bacino di San Marco , dem Beginn des Canal Grande auf Höhe des Markusplatzes, von wo aus die Menschen das pyrotechnische Spektakel be-staunten. In den Restaurants und
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