Im Bann der Dämonin
Sie hatte eine starke Persönlichkeit, ja. Aber sie hatte auch etwas von einem Chamäleon an sich. Sie konnte alles werden, was ein Mann sich wünschte. Sie war sein Wachtraum.
Zum hundertsten Mal seit seiner Ankunft in Venedig mussteer sich zwingen, sich daran zu erinnern, was sie wirklich war.
Kein Wachtraum, sondern ein lebendiger Albtraum.
Als Luciana nach Hause kam, ging sie sofort in ihr Labor und arbeitete konzentriert weiter an der neuen Rezeptur. Am späten Nachmittag hörte sie wieder den entfernten Gesang dieser Frau, diesmal aus dem Erdgeschoss ihres Hauses.
Tosca , wenn ich mich nicht irre, dachte sie irritiert.
Die Türhüter waren in einem eigenen Bereich im zweiten Stock des Hauses untergebracht, der schon immer als Personaltrakt gedient hatte. Nur der oberste Türhüter Massimo war in einem eigenen Apartment im Untergeschoss untergebracht. Früher, als die Familie Rossetti noch im Seidenhandel tätig war, hatten sich dort die Lagerräume befunden.
Luciana hielt sich nie in den Unterkünften der Bediensteten auf, sondern ließ die Türhüter frei schalten und walten. Massimo sorgte schon dafür, dass keiner aus der Reihe tanzte und dass das Haus in Ordnung gehalten wurde. Arbeiten, die normalerweise Frauen erledigten, wie kochen, putzen und waschen und das Silber polieren, übernahmen in Lucianas Haushalt Männer, überraschenderweise ohne darüber zu murren.
Nur um eines hatte Luciana gebeten: Die Türhüter sollten sich bei der Ausübung ihrer Fleischeslüste diskret verhalten.
Selbst nach dem Debakel mit Violetta … Nun, das hatte sie tatsächlich schleifen lassen. Sie hatte die Türhüter nach dem Vorfall nicht diszipliniert, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte.
Es war unmöglich, sich bei diesem Gesang zu konzentrieren, und so stand Luciana auf, um die Quelle des Gesangs in ihrem Haus ausfindig zu machen.
Sie presste ihr Ohr an die schwere Holztür von Massimos Zimmer und lauschte dem leisen Klang des Gesangs.
Plötzlich öffnete der Mann die Tür.
Und hinter ihm schwebte Violetta, nicht greifbar und durchsichtig,nur ein körperloser Geist, der Luciana mit großen, außerweltlichen Augen anstarrte. Es war klar, wieso die junge Frau als Geist in die Casa Rossetti zurückgekehrt war, darüber musste Luciana nicht lange nachdenken.
„Was soll denn das, sie hier in deinen Räumlichkeiten zu verstecken?“
Massimo schob Violetta hinter sich und stellte sich zwischen die beiden Frauen. „Tun Sie ihr bitte nichts.“
„Was soll ich ihr denn jetzt noch tun? Sie ist doch schon tot. Und Satan will ihre Seele offensichtlich nicht als Opfer annehmen.“
„Ich suchte nach einer Möglichkeit, ihr zu helfen“, gestand Massimo. „Wäre das Opfer wie geplant angenommen worden, wäre ihre Seele jetzt in der Hölle gefangen. Doch da Satan sie nicht angenommen hat, konnte sie zumindest als Geist auf die Erde zurückkehren. Sie verdient unsere Hilfe.“
„Mit Mitleid ist niemandem gedient, Massimo“, sagte Luciana kopfschüttelnd. „Wirklich, du hättest sofort zu mir kommen sollen, als du bemerkt hast, dass sie noch hier ist. Es gibt Dinge, die sich nicht verbergen lassen. Nun, Violetta … Was hast du dazu zu sagen? Du scheinst mir nicht mehr ganz so tapfer zu sein, jetzt, wo du weißt, wie es ist, tot zu sein.“
„Ich dachte, ich könnte all das beenden und diesen Ort verlassen“, presste das Mädchen hervor. „Als ich starb, sah ich ein Licht. Ich versuchte, es zu erreichen, aber ich konnte nicht. Werde ich jetzt zum Dämon?“
„Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Du kannst dir sicher ausmalen, dass nicht jeder Mensch, der stirbt, zum Engel- oder zum Dämon-Dasein auserkoren ist. So etwas gilt nur bei außergewöhnlichen Umständen.“
Umstände, die dieses Kind sich nicht auch nur annähernd vorstellen, geschweige denn ertragen könnte.
Um das zu wissen, musste Luciana das Mädchen nur ansehen. Sie hatte es schon gewusst, als sie sie opferte. Violetta warzu zerbrechlich. Und viel zu gut.
„Du musst weiterziehen. Lass einfach los. Nichts hält dich hier.“
„Ich gehe nirgendwohin. Noch nicht, jedenfalls.“ Violetta schien ihren Mut langsam zurückzugewinnen. „Wenn du noch einen Körper hättest, würde ich dich jetzt schütteln, damit du Vernunft annimmst.“ Luciana konnte kaum glauben, was hier gerade passierte. So etwas war ihr noch nie untergekommen. Von all den Opfern, die sie in den Gemäuern der Casa Rossetti getötet hatte, war nicht eine einzige Seele jemals
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