Im Bann der Dämonin
in meine Augen gelegt“, antwortete sie und verdrehte dabei die Augen gen eben diesen Himmel.
„Aber Sie sind auch eine Diebin, bellissima . Sie haben mir meinen Spruch geklaut.“
„Wir Venezianer sind im tiefsten Inneren alle Diebe.“ Sie beugte sich nach vorn und eröffnete dem Mann so einen Blick auf ihr tief ausgeschnittenes Dekolleté. Sie sah ihn mit großen Augen an und fügte mit honigsüßer Stimme hinzu: „Die Hälfte unserer Kunstschätze haben wir während verschiedener Religionskriege irgendwo geplündert. Die Fassade unserer berühmten Basilica di San Marco ist ein miscuglio … eine Mischung aus von fremden Tempeln gestohlenen Säulen. Die Altäre in ihrem Inneren sind mit Edelsteinen geschmückt, die aus anderen Städten und Kirchen entwendet wurden. Selbst die berühmte Quadriga, das antike bronzene Vierergespann, stammt ursprünglich aus Konstantinopel und wurde als Kriegsbeute nach Venedig gebracht. Sì , selbst der Heilige Markus wurde gestohlen, seine angeblichen Gebeineim neunten Jahrhundert von venezianischen Kaufleuten aus Ägypten entwendet.“
Die Touristen liebten diese Geschichten. So wie sie es liebten, echte Venezianer kennenzulernen.
Und wie alle anderen glaubte auch dieser Mann ihre Story. Er zog sich einen Stuhl heran. „Darf ich?“
„Nur, wenn Sie Ärger kriegen wollen“, sagte sie und streichelte sich verführerisch mit einem Finger über den Saum ihres Ausschnitts, gleich oberhalb ihrer perfekten Brüste.
Der Mann lachte; gleichzeitig fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. „Im Gegenteil. Ich wähne mich schon jetzt im Himmel.“
„Nicht ganz. Aber die Reise in die andere Richtung könnte ich leicht arrangieren.“
Wieder lachte er. Natürlich hielt er es für einen Witz.
Tja, dachte sie lächelnd. Hinterher kann er nicht sagen, ich hätte ihn nicht gewarnt.
Er winkte den Kellner heran und bestellte zwei Cinzano. Als die Getränke kamen, dachte sie kurz, wie einfach es sein würde, ihn zu vergiften – es bedurfte nur einer flinken Handbewegung. Ein winziger Tropfen Gift, den sie blitzschnell in seinen Drink gab, ohne dass dieser stumpfe Mensch es überhaupt bemerken würde.
Unter dem Tisch hatte er seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt. Am liebsten hätte sie ihn getreten. Oder ihn gleich hier, auf dem Platz, vergiftet. Doch dieses Risiko durfte sie nicht eingehen. Nicht jetzt.
Stattdessen zwang sie sich zu einem Lächeln.
„Venedig ist so viel mehr als das Klischeebild, das Touristen von unserer Stadt haben. Sie kommen wegen unserer vielen Feste hierher, kaufen sich eine Karnevalsmaske und trinken Prosecco, betrachten sich die Kirchen und Palazzi. Und wer sich für ganz besonders weltmännisch hält, trinkt in Harry’s Bar einen Bellini. Und dabei lernen sie nie das Venedig der Einheimischenkennen. Den Teil der Stadt, den kaum ein Tourist je zu sehen bekommt.“
Das war nicht einmal gelogen.
Noch bevor die Nacht vorbei war, würde dieser Mann eine Tour auf den Grund des Kanals machen.
Und wie viele Touristen kamen da schon hin?
„Nehmen Sie eine der gemächlichen Routen“, sagte sie jetzt zu dem Gondoliere, der mehrere Routen herunterrasselte, die in der Nähe ihres Zuhauses vorbeiführten. „Hören Sie doch mal, dieses Lied.“ Luciana lehnte sich über den Rand des Bootes. „Die Gondoliere singen barcarole , traditionelle Volkslieder. Sie singen aber vor allem auch die populären Lieder aus dem Süden wie ‚O sole mio‘. Dieses Lied hört man in den Kanälen so oft, dabei stammt es nicht einmal aus Venedig. Doch ab und zu findet man einen Gondoliere, der sich noch auf die alten venezianischen Weisen versteht. Ist das nicht schön?“
Doch der Mann, der sich nur allzu gerne auf eine Gondelfahrt mit ihr eingelassen hatte, hörte ihr nicht zu. Er hatte angefangen, sie zu befummeln, und betatschte sie plump. Es widerte sie an.
Bald, dachte sie bei sich. Bald wird das vorbei sein und er unter Wasser .
Und dann kam ihr ein verstörender Gedanke in den Sinn.
Auf einmal wünschte sie sich, es wären Brandons Hände, die ihren Körper erkundeten.
Es wären Brandons muskulöse, tätowierte Arme, die sie festhielten. Seine hübsch geformten Lippen, die ihren Mund zärtlich berührten – und nicht die dieses verblödeten Touristen.
Und als sie ihre Augen öffnete, war er da.
Er stand auf dem Dach eines alten Palazzo, hoch über ihnen, und blickte auf Luciana herab. Seine mondbeschienene Silhouette hob sich deutlich vor dem klaren Nachthimmel
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