Im Bann der Dämonin
Hochzeit geschenkt bekommen hatte. Dieses Paar Ohrringe war das Erste, was sie sich zurückholte, als sie als Dämonin nach Venedig zurückgekehrt war. Doch als sie dieses gottverdammte Bordell verlassen hatte, hatte es schnell gehen müssen. Ich bin ihr damals entkommen, dachte die Dämonin. Meine Ohrringe nicht. Sie schmückten seitdem Carlottas Ohrläppchen, und la tenutaria weigerte sich standhaft, sie zurückzugeben.
Carlotta deutete ihren Blick richtig. „Diese Ohrringe gehören mir, und zwar schon lange. Ich habe auch zur Familie gehört, vergiss das nicht. Du hast sie hiergelassen, als du weggegangen bist. Wenn sie dir so viel wert sind, hättest du vorsichtiger damit umgehen müssen.“
„Du bist wirklich unglaublich.“ Luciana starrte sie wütend an. „Du findest sicher alleine raus“, erwiderte die Bordellbesitzerin mit einem Kopfnicken in Richtung Ausgang.
Als Luciana die Tür öffnete, entdeckte sie Corbin unten im Flur, der zwei von Carlottas Mädchen im Arm hatte. Sie zögerte und drehte sich dann noch einmal um, um Carlotta zu warnen. „Sei lieber vorsichtig! Corbin ist gefährlicher, als du es dir in deinen wildesten Träumen vorstellen kannst.“
„Ich kann auf deine Ratschläge verzichten. Und ich kann auf mich selbst aufpassen.“
Luciana erschauderte bei dem Gedanken daran, wie gefährlich der Erzdämon war. Aber wenn Carlotta nicht auf sie hören wollte …
Als sie durchs Treppenhaus nach unten ging, packte Corbin sie plötzlich am Arm. „Wohin so schnell, meine Schöne?“ „Ich habe etwas zu erledigen, Corbin. Und du hast damit nichts zu tun.“
„Alles, was wichtig ist, hat mit mir zu tun, cara . Daran solltest du dich besser gewöhnen.“
Sie schüttelte ihn ab und eilte die Treppe hinunter.
Das Haus der Kompanie war keine Luxusherberge, aber dort hatte Brandon zumindest ein bisschen Komfort genossen. In diesem abrissreifen Gebäude gab es dagegen nichts, vor allem keine Klimaanlage.
Nicht einmal einen Ventilator.
Und somit keine Linderung der Hitze und Schwüle des Sommers.
Er war klitschnass geschwitzt.
Am Palazzo der Dämonin auf der anderen Seite des Kanals waren die Rollläden geschlossen. Das Haus lag still und verlassen da wie eine Grabkammer. Und doch konnte er sie inmitten dieser Totenstille atmen spüren. Denken spüren. Er ahnte, dass auf den polierten Tischen in diesem Haus Pläne geschmiedet wurden. Sie saß mit Türhütern zusammen und dachte sich etwas aus.
Stundenlang beobachtete er den Palazzo. Doch auf der anderen Seite des Kanals tat sich rein gar nichts. Nicht die leiseste Bewegung. Nicht das kleinste Geräusch.
Nichts.
Schlaf nicht ein, ermahnte er sich. Denk an etwas anderes .
In dieser Stadt ohne Autos stellte sich Brandon vor, jetzt im Auto zu sitzen. Er spürte, wie das Brummen der Beschleuni-gung in seinen Knochen dröhnte. In seiner Vorstellung grif-fen seine Hände nun nach dem gewohnten Lenkrad, und sein Fuß drückte ein imaginäres Gaspedal fest durch, ohne dass etwas geschah.
Er schloss die Augen und wollte weiter in seiner Fantasie schwelgen.
Doch schon im selben Moment spürte er, wie er der materiellen Welt entschwand.
Es war der Moment, in dem er die Beschränkungen des menschlichen Körpers hinter sich ließ und dennoch darin gefangen war. Er raste mit hundertsechzig Kilometern pro Stunde dahin, aber in absoluter Stille. Ganz allein raste er über eine verlassene Landstraße, in vollkommener Verbindung mit dem Göttlichen.
Er schaltete in einen höheren Gang.
Und spürte, wie eine Hand sachte seinen Oberschenkel drückte.
Er sah hinüber zum Beifahrersitz, und da saß Luciana. Ihre grünen Augen funkelten. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen.
Schlagartig erwachte er. Zurückkatapultiert in seine reale Si-tuation.
Er war in einer Stadt, in der es keine Autos gab.
Sondern nur Wasser und endlose, verschlungene Sträßchen und Gassen.
Und eine Dämonin, die mich vollkommen wahnsinnig macht .
Brandon stand auf und begann, rastlos herumzulaufen. Er wollte das Gefühl von ihrer Hand auf seinem Oberschenkel abschütteln. Luciana war ein echtes Rätsel, ein Widerspruch der Elemente, kombiniert in einer trügerischen Hülle. Ihr Gesicht konnte im Bruchteil einer Sekunde sämtliche Nuancen widerspiegeln, von komplett unschuldig zu welterfahren und abgeklärt. Für ihn war sie verletzlich und gefährlich zugleich.
Von einer Frau, die so viele Menschen getötet hatte, hätte er niemals diesen atemberaubenden Charme erwartet.
Weitere Kostenlose Bücher