Im Bann der Dämonin
eine berühmte Diva einst gesagt.
Die Innenräume des Opernhauses glitzerten und funkelten wie Diamanten. Ein großer goldener Kristalllüster zierte die mit Fresken bemalte Decke. Die samtbezogenen Sitze und Vorhänge der verspiegelten Logen ergingen sich in vergoldeter Pracht. Die hervorragende Akustik ließ die hellen, wunderschönen Stimmen mit unvergleichlicher Klarheit durch das Theater schallen.
Wie im Inneren eines Diamanten.
Gefangen in einem schönen, glitzernden, aber auch harten und leblosen Gefängnis.
Das jedenfalls war die Bedeutung des Satzes, so, wie Luciana ihn verstand.
In der Königlichen Loge gegenüber der Bühne saß die Dämonin und sah selbst aus wie ein Edelstein in ihrem weißen Seidenkleid. Alle Opernbesucher in den Sitzen unter ihr und in den Logen nebenan reckten den Hals, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Von allem, was heute Abend im La Fenice glitzerte, funkelte Luciana am hellsten.
Und doch konnte sie selbst nur an den Tod denken.
Sie ignorierte die neugierigen Blicke der anderen Besucher. Sie bekam nichts mit vom aufgeregten Geflüster der festlich ausstaffierten Venezianer und Touristen in Sommerkleidung. Von den Schichten von raffiniert designtem Chiffon und den Juwelen, die die Frauen schmückten. Vom sorgsam gebügelten weißen Leinen unter den dunklen Anzügen der Männer.
Eines Tages, und zwar eher als sie glauben, wird jeder Einzelne von ihnen sterben .
Ganz egal, wie schön sie sind .
Natürlich bewunderten sie alle. Sie begehrten ihre Schönheit und ihren exklusiven Platz. Aber was die Sterblichen dachten,war ihr vollkommen egal.
Keiner von ihnen konnte das Schicksal abwenden.
Weder ihr eigenes. Noch Lucianas. Noch Brandons.
Sie hasste dieses Gefühl. Dieses Ausgeliefertsein. Wie wehrlose Beute.
Ein Pfand der Männer.
„Satan soll mein Zeuge sein“, murmelte sie vor sich hin. „Das wird nie wieder passieren.“
Sie warf einen Blick auf das Programm, durchblätterte die Seiten, ohne zu lesen. La Traviata .
Natürlich, dachte sie. Die Oper, in der die Heldin Violetta heißt.
Luciana hatte diese Oper viele Dutzend Male gesehen, mit den unterschiedlichsten Künstlern, jeder Einzelne strahlender und besser als der Rest. Im Royal Opera House im Covent Garden. In der Metropolitan Opera in New York. Im La Scala in Mailand. In der Opéra Bastille in Paris …
Doch nirgends hatte sie auf einen Mann wie ihn gewartet.
Sie richtete den Blick auf die Bühne, lauschte der Musik und verlor sich in der Welt der Musik. Sie liebte die Oper nicht nur, weil sie die wunderschönen Stimmen der Künstler so sehr be-wunderte. Und nicht nur, weil sie sich so gern auf die Geschich-ten einließ, die sie schon so oft gesehen und gehört hatte und so gut kannte.
Nein, für Luciana war der Besuch in der Oper eine Zeitreise. Durch die Musik, so empfand sie, konnte sie in die Vergangenheit zurückkehren. Zurück in eine Zeit, in der sie noch unschuldig und unberührt war von dem Wissen, dass der Tod alles in die Finger bekam. Unberührt von der Realität, dass sie selbst ein Todbringer war.
Es gab nur noch Klang.
Als sich die Tür hinter ihr öffnete, begann ihr Herz mit einer Art schmerzlicher Sehnsucht zu klopfen, eine Empfindung, die sie noch aus ihrer Zeit als Mensch kannte. Eine Art Bedauern.
Sie hatte vieles gefühlt, bevor sie tötete.
Angst. Freude. Wut. Rachegelüste.
Doch niemals etwas, das dem Gefühl jetzt ähnelte.
Ich habe keine andere Wahl, ermahnte sie sich selbst. Ich muss meiner Pflicht nachkommen.
Brandon spürte ihre dunkle Energie sofort, als er das Opernhaus betrat. Unruhig. Er folgte dieser Spur bis in den ersten Stock des kleinen Gebäudes. Da war sie, ihre sinnliche Anziehungskraft.
Er betrat ihre Loge durch eine kleine Tür, die er leise hinter sich schloss.
Da saß sie, die Dämonin, auf einem mit Samt bezogenen Stuhl.
Augenblicklich fühlte er sich um zweihundertfünfzig Jahre in die Vergangenheit versetzt. Vor ihm veränderte sich Lucianas Bild. Jetzt war die Dämonin eine sehr junge Frau, noch ein Mensch, glücklich mit ihren Gefährten.
Das Trugbild flackerte jedoch nur für einen kurzen Moment auf und verschwamm dann wieder. Er kehrte zurück in die Gegenwart.
Luciana drehte sich um, als sie die Tür hörte. Doch sie sah ihn nicht an. Ihr üppiges, lockiges Haar trug sie hochgesteckt, Schulter und Rücken waren nackt. Ihr Kleid war ein elegantes Schrägschnittmodell aus weißer Seide, das sie fließend umschmeichelte. Er sah, wie sie
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