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Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)

Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)

Titel: Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Kestner
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sich von Gang zu Gang, fischte aufgeweichte Bücher unter den Regalen hervor und klaubte hoch getürmte Stapel auseinander. Manchmal erregte ein Buch seine Aufmerksamkeit, weil es besonders kostbar schien oder recht alt wirkte. Doch kein Titel ließ auch nur annähernd darauf schließen, dass etwas über die Drudel oder die lemurische Geschichte an sich darin zu finden wäre.
    Zu seiner Enttäuschung fand er auch unter den Regalen, die mit Dr gekennzeichnet waren, nichts als lederne Buchrücken und lose Pergamentseiten.
    Doch plötzlich fiel sein Blick auf blank poliertes Holz. Es lugte ganz unscheinbar unter einer zertrümmerten Büste hervor. Als er das Buch aus den Scherben zog, setzte sein Herz für eine Sekunde aus. Er strich mit der Hand über den glatten Rücken; er war dunkel und hatte kaum Maserung. Jedoch besaß er keinerlei Ähnlichkeit mit der knorrigen Schale des Druidenstabs.
    Also keine Holunderwurzel , dachte Timothy, drehte es trotzdem neugierig in der Hand und klopfte den Steinstaub von der anderen Seite. Ein grauenhafter Schädel, dessen Gesicht zu einer abstoßenden Fratze verzogen war, stierte ihm vom Deckel entgegen.
    »Hier ist was!«, rief er entgeistert. »Avy, hier ist …«
    Timothy hörte, wie Schritte den Nebengang in seine Richtung eilten, und löste die Schleife. Die Pergamentseiten waren brüchig, die Schrift verwaschen.
    »Das menschliche Wesen«, entzifferte er mühevoll und stockte. »Das ist doch …« Mit hochgezogenen Augenbrauen las er weiter: »Der Mensch ist eine niedere Rasse, bösartiger Natur, der dem Lemuren seine Überlegenheit von Grund auf neidet. Seine Existenzberechtigung stellt er durch seine eigene Raffgier, unmoralische …« Der Rest war nicht mehr lesbar.
    Timothy spürte einen Kloß im Hals. Hielt er etwa das Werk von Homorden in den Händen? Oder sogar ein Hexenbuch? Wer weiß, vielleicht dachten die meisten Lemuren so? Wer auch immer so etwas verfasst hatte, war zumindest kein Freund des Menschen. So viel war klar.
    Vorsichtig blätterte er weiter. Auf der nächsten Seite fand er das entsetzliche Abbild eines Wesens, das sich unter Schmerzen krümmte; den Mund zum Schrei aufgerissen …
    Timothy verfolgte etliche feine Linien, die von Muskeln, Knochen, den hervorstehenden Augäpfeln und den fleischigen Lippen zu Begriffen führten, die er nicht verstand.
    Er schluckte trocken. Der Ältestenrat hatte ihn wohl wirklich nicht ohne Grund davor gewarnt, seine menschliche Herkunft preiszugeben.
    Und plötzlich nahm ein grauenhafter Gedanke in seinem Kopf Gestalt an: Was, wenn er etwas Unbedachtes tat, etwas, das ihn als Menschen entlarvte? So wie Händeschütteln oder Tomaten essen? Was würden die Lemuren ihm antun?
    Zögernd blätterte er weiter und fand seine Frage schneller beantwortet, als ihm lieb war: »Dem Menschen lässt sich am schnellsten beikommen, indem ihm Sauerstoff entzogen wird«, las er dort, so sachlich wie eine Gebrauchsanweisung. »Aber auch Wasser, Feuer oder hoher Krafteinsatz haben sich als zielführende Mittel zu seiner Verminderung erwiesen.«
    Der Kloß in seinem Hals hatte sich zu einer Schlinge gewandelt. Beklommen schlug er das Buch zu.
    Irgendwo knarzten Balken; die Schritte im Nebengang waren verstummt. Stattdessen hörte Timothy hinter einer vollgestopften Bücherreihe gleichmäßiges Atmen. Sein Körper verkrampfte sich und begann ungewollt zu zittern. Angespannt spitzte er die Ohren.
    »Avy? Hast du schon was gefunden?«, fragte er ängstlich. Timothy wartete einige Sekunden, dann formte er seine Hände zu einem Trichter. »Avy? – Looooo!«
    Statt einer Antwort warf ein verhaltenes Echo seine letzten Worte zurück.
    »Mein Gott, wie groß ist denn die Bibliothek?«, murmelte er leise und lief zurück zum langen Hauptgang, um es erneut zu versuchen.
    »AVY!«, rief er lauter.
    »Avy-Avy-Avy«, hallte es wieder.
    Er wollte schon die Wendeltreppe hinauf zur Empore eilen, als er wieder Schritte vernahm. Wachsam glitt er zum nächsten Gang, in dem einstmals die Bücher mit E verwahrt worden waren, und lugte um die Ecke.
    Im gleichen Moment trat eine Gestalt durch die Regale, die mit gesenktem Kopf auf ihn zuging. Timothy erkannte sie sofort: der graue Umhang, der bucklige Rücken. Es war derselbe Mann, den er bereits am Eingang beobachtet hatte.
    Langsam hob der Fremde den Kopf. Sein Gesicht war fahl und auf seltsame Weise konturlos. Umso mehr stachen seine gelben Augen hervor, mit denen er durch ihn hindurchsah, als suchte er etwas

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