Im Bann der Dunkelheit
Allan Disney«, sagte ich. »Wie dem auch sei, Rumpelmauser hängt irgendwo in der Nähe des Jachthafens herum. Statte Roosevelt Frost einen Besuch ab. Er müßte wissen, wie wir unseren Fährtensucher finden.«
Aus dem Schattenreich der Schlucht östlich von uns erklang der unheimliche, wehklagende Ruf von Kojoten, ein Geräusch wie kein zweites auf Erden, wie die gequälten und hungrigen Stimmen, die irische oder schottische Banshees hätten, wenn es Banshees gäbe.
Sasha schob die rechte Hand unter die Jacke, als wollte sie wieder den Revolver ziehen.
Solch ein rasender Kojotenchor ist nachts nichts Ungewöhnliches und verkündet normalerweise, daß eine Jagd ihr blutiges Ende gefunden hat und ein größeres Tier, vielleicht sogar ein Hirsch, vom Rudel zur Strecke gebracht wurde oder daß der Vollmond seinen eigenartigen Reiz ausübt; aber nur selten hört man solch einen gruseligen Chor diesseits des Sonnenaufgangs. Noch stärker als alles andere, was wir gerade erlebt hatten, erfüllte diese finstere Serenade, die an Lautstärke und Leidenschaft noch zunahm, mich mit einer bösen Vorahnung.
»Sharky«, sagte Bobby.
»Weiße Zeiger«, sagte ich, was Surferslang für Weiße Haie ist, die gefährlichste aller Haiarten.
Ich rutschte auf den Beifahrersitz des Explorer. Als Sasha den Motor anließ, zog Bobby in seinem Jeep schon an uns vorbei. Er fuhr zu Jenna Wing, die auf der anderen Seite der Stadt wohnte.
Ich rechnete nicht damit, ihn innerhalb der nächsten sieben Stunden wiederzusehen, doch in diesem Augenblick, bei Anbruch der Dämmerung des 12. April, ahnten wir noch nicht, daß für uns ein Tag mit epochal schlechten Nachrichten beginnen sollte. Die häßlichen Überraschungen stürmten auf uns ein wie Monolithen von dreifacher Mannsgröße, die ein Taifun im fernen Pazifik aufgewirbelt und mit sich gerissen hatte.
17
Sasha stellte den Explorer auf der Einfahrt ab, da der Wagen meines Vaters nebst einigen Kisten mit seiner Kleidung und seinen persönlichen Besitztümern noch in der Garage stand.
Der Tag würde kommen, an dem sein Tod so weit zurücklag, daß ich nicht mehr glaubte, ich würde ihn in meiner Erinnerung herabwürdigen, wenn ich seine Sachen weggab. Aber noch war dieser Tag für mich nicht da.
Ich weiß, daß ich in dieser Hinsicht unlogisch denke. Die Erinnerungen an meinen Vater, die mir jeden Tag neue Kraft zum Leben geben, haben nichts damit zu tun, welche Kleidung er bei einer bestimmten Gelegenheit zu seinem Lieblingspulli und der Lesebrille mit dem silbernen Gestell trug.
Nicht seine Sachen halten ihn in meiner Erinnerung lebendig; er bleibt mir wegen seiner Freundlichkeit präsent, wegen seines Witzes, Mutes, seiner Liebe und Freude am Leben. Aber seitdem ich vor drei Wochen seine Sachen zusammengepackt habe, habe ich schon zweimal eine der Kisten in der Garage aufgerissen, nur um mir die Lesebrille und den Pullover noch einmal anzusehen. In solchen Augenblicken kann ich mich nicht vor der Wahrheit verschließen, daß es mir nicht so gutgeht, wie ich vorgebe. Der Katarakt der Trauer ist höher als die Niagara-Fälle, und ich habe wohl noch nicht den Fluß der Akzeptanz an seinem Grund erreicht.
Als ich ausstieg, eilte ich nicht überstürzt ins Haus, obwohl der graue Morgen uns schon fast erreicht hatte. Der Tag tat nur wenig, um die Farbe wiederherzustellen, die die Nacht der Welt gestohlen hatte; vielmehr schien das rauchige Licht einen aschgrauen Rückstand auf allem zurückzulassen, einen Rückstand, der sämtliche Töne dämpfte und glänzende Oberflächen stumpf machte. Ich war gern bereit, das Risiko einzugehen, mir in diesem scheinlosen Sonnenschein kumulative UV-Schäden zuzuziehen, wenn ich nur eine Minute lang die beiden Eichen im Vorgarten betrachten konnte.
Diese immergrünen Kalifornischen Eichen mit ihren wunderschönen Kronen und den großen Blätterdächern mit ihren starken, schwarzen Ästen ragen hoch über das Haus auf und spenden ihm zu jeder Jahreszeit Schatten, denn im Gegensatz zu den Eichen der Ostküste werfen sie im Winter die Blätter nicht ab. Ich habe diese Bäume immer geliebt, bin in vielen Nächten hoch in sie hinaufgeklettert, um den Sternen näher zu sein, doch in letzter Zeit bedeuten sie mehr denn je für mich, weil sie mich an meine Eltern erinnern, die die Kraft hatten, Opfer zu bringen, ja ihr eigenes Leben fast aufzugeben, um ein behindertes Kind großzuziehen, und die mir den Schatten gaben, in dem ich gedeihen konnte.
Das
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