Im Bann der Dunkelheit
unten lag, und umwickelte hastig seine Armgelenke auf dem Rücken. Ich war schwer versucht, den Draht genauso fest anzuziehen, wie sie es bei den Kindern und Orson getan hatten, aber ich riß mich zusammen und sorgte lediglich dafür, daß er sich nicht mehr selbst befreien konnte.
Nachdem ich ihm die Füße gefesselt hatte, spannte ich noch einen Draht zwischen Hand- und Fußgelenken, um seine Beweglichkeit zusätzlich einzuschränken.
Randolph mußte schon im Verlauf meiner Bemühungen aufgewacht sein, denn als ich damit fertig war, sprach er mit einer Klarheit, die untypisch war für jemanden, der gerade erst das Bewußtsein wiedererlangte. »Ich habe gewonnen«, sagte er.
Ich ging neben ihm in die Hocke, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Sein Kopf lag auf der Seite, die linke Wange auf dem kupfernen Boden. Die Lippen waren aufgeplatzt und blutig. Das rechte Auge war blaßgrün und hell, und ich erkannte kein Anzeichen für animalisches Augenleuchten darin.
Seltsamerweise schien er sich überhaupt nicht unwohl zu fühlen. Er war völlig entspannt, als wäre er gar nicht gefesselt und hilflos, sondern würde sich lediglich ein bißchen ausruhen.
Als er sprach, war seine Stimme ruhig. Es schwang sogar etwas Euphorie mit, wie bei einem Menschen, der soeben aus dem leichten Schlaf nach der Einnahme eines schmerzstillenden Narkotikums erwacht war. Ich hätte mich besser gefühlt, wenn er getobt, geschrien und mich angespuckt hätte. Randolphs Gelassenheit schien seine unerschütterliche Zuversicht, daß er trotz seiner gegenwärtigen Lage gewonnen hatte, noch zu stärken. »Ich werde auf der anderen Seite sein, bevor die Nacht vorbei ist. Man hat den Motor herausgerissen, aber das war keine tödliche Verletzung. Es ist eine Art... organische Maschine. Im Laufe der Zeit sind ihre Wunden geheilt. Jetzt lädt sie sich mit neuer Energie. Man kann es spüren. Man spürt es im Boden.«
Das Rumpeln, das an vorbeifahrende Züge erinnerte, war lauter als zuvor, und die Ruhephasen dazwischen waren immer kürzer geworden. Obwohl die Auswirkungen in diesem Raum schwächer als im übrigen Gebäude waren, war unverkennbar, daß der Lärm und die Vibrationen an Intensität zugenommen hatten.
»Mit etwas Nachhelfen habe ich sie wieder aktivieren können«, sagte Randolph. »Eine Sturmlampe in der Translationskammer vor zwei Stunden - das war alles, um sie wieder in Betrieb zu setzen. Es ist wirklich keine gewöhnliche Maschine.«
»Sie haben an diesem Projekt mitgearbeitet?«
»Es ist meins.«
»Dr. Randolph Josephson«, sagte ich, nachdem ich mich plötzlich an den Namen des Projektleiters erinnerte, den Delacroix auf dem Band genannt hatte. John Joseph Randolph, der Kindermörder, war zu Randolph Josephson geworden.
»Was bewirkt sie, wohin... führt das?«
Statt mir die Frage zu beantworten, lächelte er und sagte: »Ist Ihnen jemals die Krähe erschienen? Conrad ist sie niemals erschienen. Er behauptet es zwar, aber er lügt. Mir ist die Krähe erschienen. Ich habe am Felsen gesessen, und da hat sich die Krähe in die Lüfte erhoben.« Er seufzte. »Hat sich eines Nachts vor meinen Augen aus dem festen Felsen gebildet.«
Orson war bei den Kindern und nahm deren Mitgefühl entgegen. Er wedelte mit dem Schwanz. Alles würde wieder gut werden. Die Welt ging noch nicht zu Ende, zumindest nicht hier, zumindest nicht heute nacht. Wir würden diesen Ort verlassen, wir würden überleben, wir würden anschließend eine Party feiern und wieder auf den Wellen reiten. Das stand fest, war beglaubigt und bescheinigt, da bestand kein Zweifel, denn das war das gute Omen, das Zeichen, daß wieder angenehmere Zeiten anbrachen: Orson wedelte mit dem Schwanz.
»Beim Erscheinen der Krähe wußte ich, daß mir ein ganz besonderes Schicksal beschieden war«, sagte Randolph. »Jetzt habe ich meine Bestimmung erfüllt.«
Ein erneutes furchterregendes Quietschen sich verbiegenden Metalls mischte sich in das Rumpeln des Geisterzugs.
»Vor vierundvierzig Jahren«, sagte ich. »Das waren Sie, der die Krähe in den Crow Hill gehauen hat.«
»In jener Nacht bin ich nach Hause gegangen und habe mich zum ersten Mal überhaupt so richtig lebendig gefühlt. Also habe ich getan, was ich schon immer tun wollte. Ich habe meinem Vater das Hirn aus dem Schädel gepustet.« Er sagte es, als würde er eine Leistung erwähnen, die ihn mit stillem Stolz erfüllte. »Ich habe meine Mutter in Stücke gehackt. Dann hat mein wahres Leben begonnen.«
Doogie
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