Im Bann Der Herzen
Profil. Sein langes schmales Kinn ließ die Wangen eingefallen und wie gemeißelt erscheinen. Beherrscht aber wurde sein Gesicht von der Nase mit dem auffallenden Höcker auf dem Rücken. Eine eindeutig klassische Nase, dachte sie. Und er besaß das, was sie und ihre Schwestern als Intelligenzstirn bezeichneten - sehr breit mit einem Haaransatz, der in der Mitte eine auffällige Spitze bildete. Seine unregelmäßigen Züge hatten etwas Asketisches an sich, das zu seinem kraftvollen Körperbau nicht recht passen wollte.
Als er sich ihr unvermittelt zuwandte und sie neugierig anschaute, senkte sie hastig den Blick. Der Kellner, der kam, um abzuservieren, bildete eine willkommene Ablenkung. »Gottlob«, sagte sie halblaut, als die Reste des Aals entfernt wurden. Sie biss erneut vom gebutterten Brötchen ab und wartete, dass der Fischgeschmack und das glitschige Gefühl auf der Zunge endlich verschwanden, wobei sie hoffte, dass er ihre kritische Musterung nicht bemerkt hatte.
»Jetzt möchte ich tanzen«, verkündete Elinor. »Wer ist dafür, dass wir das Lokal wechseln?«
»Wie wär's mit dem Marrakeshl«, fragte Roddie.
»Entweder dorthin oder ins Cleopatra.«
Als der Hauptgang serviert wurde, gab es eine lebhafte Debatte über die verschiedenen Vorzüge der zwei Nachtklubs. Chastity schwieg dazu. Sie hatte keine Lust, tanzen zu gehen. Wenn aber die ganze Clique dafür war, würde es schwierig sein, sich zu entziehen. Roddie, der sie eingeladen hatte, würde sich verpflichtet fühlen, sie nach Hause zu bringen.
»Ihr Schwager hatte Recht«, bemerkte Douglas und blickte von seinem goldbraunen Hähnchen auf, das von Bratkartoffeln begleitet war. »Seit den Weihnachten meiner Kindheit habe ich etwas so Gutes nicht mehr gegessen.«
»Ach, Sie hatten zu Weihnachten Hähnchen? Bei uns gibt es traditionell Gänsebraten«, sagte Chastity. Ein harmloseres und unverfänglicheres Thema konnte sie sich nicht wünschen.
»Hähnchen zu Weihnachten, Haggis zu Neujahr«, erklärte er darauf.
»Fahren Sie in diesem Jahr nach Edinburgh?«, fragte sie, ohne großes Interesse an seiner Antwort, als sie eine Gabel Kartoffelbrei nahm.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Damit die Fahrt sich lohnt, müsste ich mindestens zwei Wochen dort bleiben, und dazu gibt es für mich hier zu viel zu tun.«
»Ach ... Arbeit, meinen Sie?«
»Arbeit ... und die Einrichtung meiner Wohnung.« Er spießte ein Rübchen auf.
»Wo wohnen Sie, Farrell?«, fragte Roddie, der die letzten Worte mitgehört hatte.
»In der Wimpole Street«, sagte Douglas. »Günstig zur Harley Street gelegen.«
»Ach, Sie haben ein Haus gekauft?«, erkundigte Elinor sich. »Die Häuser in der Wimpole Street sind herrlich.«
»Im Moment habe ich nur eine Wohnung gemietet«, sagte Douglas. »Möbliert, samt kochender Haushälterin. Für einen berufstätigen Junggesellen ideal.« Er lachte leichthin.
»Dann kann aber das Einrichten keine so großartige Aufgabe sein«, bemerkte Chastity leicht spitz und lehnte sich zurück, während der Kellner ihr nachschenkte. »Gewiss nicht so groß, um über die Feiertage nicht zur Familie zu fahren.«
Er betrachtete sie und sagte mit einem Anflug von Spott über ihre scharfe Bemerkung: »Ihnen entgeht wohl nichts, Miss Duncan?«
Chastity besaß den Anstand zu erröten, obwohl Roddie auflachend sagte: »Ach, Chastity ist im Vergleich zu ihren Schwestern noch harmlos. Die ziehen einen für jede beiläufige Bemerkung zur Rechenschaft.«
»Wir gerieten unserer Mutter nach«, erläuterte Chastity und lächelte schuldbewusst. »Sie lehrte uns die Bedeutung der Genauigkeit. Man soll nur sagen, was man meint.«
»Das klingt, als sei sie eine beeindruckende Person gewesen«, sagte Douglas.
»Das war sie«, pflichtete Chastity ihm bei. »Sie starb vor einigen Jahren.«
»Das tut mir Leid«, sagte er, und seine Hand strich flüchtig über ihre, die auf dem Tisch lag. Diese leise, schlichte Bemerkung und die leichte Wärme seiner Finger enthielten so viel natürliches Mitgefühl, dass Chastity sich merkwürdig getröstet fühlte. In ihr regte sich die Frage, ob sie Dr. Farrell nicht zu hart beurteilt und zu negativ eingeschätzt hatte.
Er schilderte nun launig dem gesamten Tisch seine momentane Situation. »Die Einrichtung meines Vermieters ist nicht ganz mein Fall, zudem machen einige persönliche Habseligkeiten Veränderungen nötig. Bücher größtenteils. Ich bin sehr eigen, was die Ordnung meiner Bibliothek angeht. Das kostet mich
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