Im Bann Der Herzen
Verneinung wohl bewusst war. Bei Douglas Farrell hieß es, auf der Hut sein. Sie hatte zugelassen, dass ihr insgeheim gebildetes ungünstiges Urteil sich bemerkbar machte, und das durfte nicht sein. »Es tut mir Leid, wenn ich Sie kränkte«, sagte sie. »Es war nicht meine Absicht. Ich dachte nur, dass es ziemlich kostspielig sein muss, eine Praxis in der Harley Street einzurichten.«
Und das bestreite jetzt, dachte sie. Es war genau das, was er zu der Vermittlerin gesagt hatte.
»Das ist es gewiss«, gab er ihr bereitwillig Recht. »Doch glaube ich nicht, Miss Dun c an, dass ich Ihnen jemals vertrauliche Informationen über den Stand meiner Finanzen zukommen ließ.«
»Nein«, sagte sie und senkte den Blick in ihren Schoß. Nicht, soweit Sie wissen, Dr. Farrell. »Meine Bemerkung war nicht angebracht«, sagte sie rasch. »Aber Sie verärgerten mich, als Sie meine Freunde kritisierten.«
Nach kurzem, bedeutungsschwerem Schweigen sagte er: »Ich entschuldige mich, falls ich diesen Eindruck hervorrief.« Er beugte sich über den schmalen Zwischenraum, der sie trennte, und legte eine Hand auf ihre. »Chastity, könnten wir die Sache nicht begraben?«
Sie spürte die Wärme und Kraft seiner Hand durch ihre dünnen Lederhandschuhe. Es war merkwürdig beunruhigend, doch unternahm sie aus irgendeinem Grund nicht den Versuch, ihm ihre Hand zu entziehen. Als Reaktion auf seine Frage lächelte sie zögernd, und er nickte nur und ließ seine Hand, wo sie war. Ihr freundschaftliches, wenn auch ein wenig betretenes Schweigen hielt an, bis die Droschke vor dem Domizil der Duncans anhielt. Douglas sprang hinunter und reichte Chastity die Hand. Diesmal war keine spürbare Vertraulichkeit dabei, doch fasste seine Hand entschlossen nach der ihren, bis sie festen Boden unter den Füßen hatte und er sie fast widerwillig losließ.
»Gute Nacht, Chastity.« Er deutete eine Verbeugung an.
»Gute Nacht, Douglas. Vielen Dank, dass Sie mich nach Hause brachten«, erwiderte sie und lief die Stufen zur Haustür hinauf.
Douglas wartete, bis sie im Inneren verschwunden war, dann bezahlte er die Droschke und schickte sie fort. Bis zur Wimpole Street war es ein kurzer Weg, und die Luft würde ihm trotz der Kälte wohl tun. Er war verwirrt und musste seinen Kopf klären.
Worauf hatte Chastity mit ihrer Bemerkung über den Zustand seiner Finanzen abgezielt? Hinter ihrer Beleidigung hatte etwas Bestimmtes gesteckt. Er konnte akzeptieren, dass sie auf eingebildete Kritik an ihren Freunden reagiert hatte, doch war ihm unverständlich, warum sie diese Äußerung gemacht hatte. Er hatte gewiss nicht den Eindruck erweckt, knapp bei Kasse zu sein. Zumindest bildete er sich das ein. Seiner Erscheinung, seiner Kleidung und seinem Auftreten war nicht anzusehen, dass er mittellos war. Obwohl er es in Wahrheit war oder sein würde, wenn seine beschränkten Mittel im großen Rachen seiner Slum-Praxis verschwanden.
Erst die Praxis in der Harley Street würde das finanzielle Gleichgewicht wiederherstellen, sobald sie eingerichtet war und Ertrag abwarf. Aber um dies rasch und erfolgreich in die Tat umzusetzen, benötigte er eine Kapitalspritze. Er dachte an Signorina della Luca, stellte sich ihre schmalgesichtige Gestalt vor, die jedoch sofort von den volleren Zügen der Ehrenwerten Chastity Duncan überlagert wurde, von ihren blitzenden braunen Augen, dem strahlenden Teint. Und wenn es ihr beliebte, hatte sie ein reizendes Lächeln. Sie besaß aber auch die Zunge einer Natter - ebenfalls wenn es ihr beliebte. Es war ein Rätsel, ein Paradox besonderer Art, und er konnte nicht leugnen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.
Er wollte nicht von ihr oder einer anderen angezogen werden. Wie er aus bitterer Erfahrung wusste, führten emotionale Bindungen nur zu schmerzlichen Komplikationen. Er brauchte lediglich eine reiche Frau in passender Position, die seiner Lebensaufgabe zumindest nicht ablehnend gegenüberstand. Die Kontaktperson hatte ihm eine solche Frau in Aussicht gestellt, nun lag es an ihm, die Sache weiterzuverfolgen.
Als wäre er zu einem Entschluss gelangt, steckte er die Hände in die Taschen und befingerte die gravierten Lettern der Visitenkarten, die er an diesem Abend bekommen hatte. Kontakte waren so wichtig wie Kapital, und heute hatte er einige angebahnt.
Chastity verbrachte eine unruhige Nacht. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie dem Drang nachgegeben hatte, den Doktor ein wenig zu reizen. Sie fühlte sich jämmerlich, weil
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