Im Bann Der Herzen
Chrysanthemen und Herbst-Maßliebchen, unter dem Arm trug er ein in braunes Papier gehülltes Paket.
»Guten Morgen«, begrüßte Chastity ihn lächelnd. »Ich wusste nicht, dass du schon zurück bist. Die Blumen sind einfach zauberhaft - in wundervollen Herbstfarben. Für wen sind sie bestimmt?«
Ihr Vater schien ein wenig verlegen. »Ich versprach der Contessa della Luca, ich würde ihr das Buch mit den Kupferstichen borgen, das eure Mutter erstand, als wir mit ihr in Italien waren. Leider konnte ich es gestern Nachmittag nicht finden und entdeckte es erst abends, deshalb dachte ich, ich könnte sie heute aufsuchen.«
Und die Blumen sann Chastity. Ihr Vater wirkte wie ein Mann, der um eine Frau wirbt. Es war vielleicht ratsam, sich ein Bild von der Situation zu verschaffen und zu sehen, wie er von der Dame empfangen wurde. »Wenn du Begleitung möchtest, komme ich mit«, schlug sie beiläufig vor. »Ich wollte ohnehin Laura und ihrer Mutter bald einen Gegenbesuch abstatten. Heute ist es mir so recht wie an einem anderen Tag.«
Ob es ihrem Vater recht war oder nicht, konnte sie nicht beurteilen, doch war er zu höflich , ihre Begleitung abzulehnen. »Das wäre sehr angenehm«, sagte er. »Komm mit, meine Liebe. Hattest du denn nichts anderes vor?«, fragte er mit einem Blick auf Hut und Mantel.
»Nichts, was sich nicht verschieben ließe«, erklärte sie gut gelaunt. »Hast du Cobham vorfahren lassen, oder nehmen wir eine Droschke?«
»Eine Droschke, denke ich. Wir müssen uns daran gewöhnen, ohne eigenen Wagen auszukommen, wenn Cobham sich aufs Altenteil zurückzieht«, sagte Lord Duncan. »Soviel ich weiß, hat Prudence alles in die Wege geleitet.«
»Ja. Cobham sprach davon, London den Rücken zu kehren und aufs Land zu ziehen. Deshalb suchte sie für ihn ein Häuschen auf dem Gut.«
»Deine Schwester muss sich jetzt um ihren eigenen Haushalt kümmern«, erklärte Lord Duncan und ließ seiner Tochter den Vortritt an der Tür. »Ich muss lernen, mich nicht mehr so auf sie zu verlassen wie bis jetzt. Oder auf dich, meine Liebe. Du wirst ebenso bald einen eigenen Hausstand gründen.«
»Ich lege es nicht darauf an, Vater«, sagte sie. »Es erscheint mir nicht sehr dringlich.«
»Nun ja, mag schon sein. Aber es ist der Lauf der Welt, mein Kind. Ich dachte immer, ich würde euch ewig um mich haben, und sieh doch, wie es kam. Deine beiden Schwestern heirateten nacheinander in weniger als einem Jahr.« Er schüttelte den Kopf, schien aber nicht ungehalten.
»Und noch dazu so respektabel«, sagte Chastity mit spitzbübischem Lächeln und hakte sich bei ihm unter. »Das finde ich erstaunlich.«
»Ja, das ist es«, stimmte Lord Duncan zu und winkte einer näher kommenden Droschke mit seinem Stock. »Wenn man bedenkt, dass sie nicht das sind, was man unter respektabel versteht. So wie du. Obwohl man den Eindruck hat, du könntest kein Wässerchen trüben, wenn man dich so ansieht. Aber deine Mutter war ähnlich.« Er hielt Chastity die Tür auf und half ihr beim Einsteigen.
Eine ganz normale Höflichkeitsgeste, dachte Chastity. Dr. Douglas Farrell konnte sich ein Beispiel daran nehmen.
Sie plauderten belanglos, während die Droschke sie zur Park Lane brachte und vor einem stattlichen Haus mit Ausblick auf Hyde Park anhielt. Die della Lucas müssen sehr wohlhabend sein, dachte Chastity, als sie ausstieg und wartete, bis ihr Vater den Kutscher bezahlt hatte. Die Contessa hatte erwähnt, sie hätte das Haus gekauft und nicht gemietet. Ein Haus dieser Größe in dieser Lage kostete sicher einen fürstlichen Preis. Jetzt denke ich schon wie Douglas Farrell, wurde ihr klar, und sie ärgerte sich. Das Vermögen der Frau abzuschätzen wie ein Fischweib ...
Doch die Stimme der Vernunft ließ nicht locker. Ihr Vater konnte finanzielle Hilfe gut gebrauchen, und Signorina della Lucas Erbteil würde sicher so groß ausfallen, dass der Doktor sich alle Träume erfüllen konnte.
Ein Lakai in goldbetresster und an ein Opernkostüm gemahnender Livree, zu der auch ein Dreispitz gehörte, öffnete ihnen. Die geräumige Eingangshalle wirkte mit ihrer Fülle an italienischen Skulpturen und Riesengemälden in massiven Goldrahmen total überladen, ein Eindruck, den die in Renaissanceblau gehaltene und mit Blattgold abgesetzte Stuckdecke noch erhöhte. Diese, einer florentinischen Villa eventuell angemessene Prachtentfaltung war in einem georgianischen Haus an der Park Lane ein Stilbruch und wirkte erdrückend und fehl am
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