Im Bann Der Herzen
Erwachsenen unter den Sängern namentlich begrüßte, Hände schüttelte, den Kindern freundlich unters Kinn fasste. Seine Töchter verfolgten sein Tun mit großer Freude. Es schien, als hätte ihr Vater zu seiner früheren Form zurückgefunden und käme den traditionellen Pflichten des Gutsherrn mit altem Eifer nach.
Douglas stand neben Mary Winston, als sie den Weihnachtsliedern lauschten. Während sein Glas mit dem edlen Single Malt von Jenkins oder dessen zahlreichen Helfern ständig nachgefüllt wurde, ließ er die Wärme der Atmosphäre auf sich einwirken. Die offenkundige gute Laune und die Freude von Gutsherrn und Pächtern zerstreute sein an Verachtung grenzendes Misstrauen, das er für die Privilegien und Traditionen des englischen Adels hegte. Nicht die leiseste Spur von Herablassung seitens der Familie Duncan war spürbar. Die Töchter des Hauses halfen mit, die Sänger mit Glühwein und Pastetchen zu versorgen, und schwatzten gut gelaunt und sehr persönlich mit jedem aus dem Chor.
Ihm fiel auf, dass Chastity sich speziell um die Kinder kümmerte, oft niederkniete, um mit ihnen auf gleicher Ebene sprechen zu können. Sie lächelte so reizend und strahlend, und in ihren großen braun-goldenen Augen lag Wärme, so dass er den Blick beim besten Willen nicht von ihr abwenden konnte. Einmal schaute sie auf und bemerkte, dass er sie beobachtete. Sie errötete leicht, dann schüttelte sie unmerklich den Kopf, drehte sich um und reichte einem anderen Kind die Hand.
Nichts wäre natürlicher gewesen, als zu ihr zu gehen - schließlich war sie seine Gastgeberin -, doch konnte er Mary Winston nicht ohne Gesprächspartner stehen lassen. Das wäre herzlos gewesen, zumal nach Lauras Unhöflichkeit. Das Kind, das ihm vorhin schon aufgefallen war, kam auf sie zugehüpft. »Hallo«, sagte das Mädchen. »Ich bin Sarah Mal vern, und ich glaube, Sie sind Dr. Farrell.«
»Erraten«, sagte er lächelnd.
»Ist das Ihr erstes Weihnachtsfest hier? Meines nämlich auch. Ich glaube, es wird ganz wunderbar. Heute haben wir die Sänger und das Dinner, bloß darf ich nicht aufbleiben, aber Mary und ich werden oben essen, Brathähnchen wie die anderen. Und zur Mitternachtsmette gehe ich auch nicht, aber das macht mir nichts aus, ich gehe nicht gern zur Kirche, und morgen nach dem Frühstück gehen wir ohnehin. Und dann gibt es vor dem Mittagessen Geschenke, und den ganzen Nachmittag wird gespielt, und dann bekommen wir abends ein kaltes Essen, weil die Dienstboten ihr Weihnachtsessen unten einnehmen und wir uns selbst bedienen müssen. Morgen darf ich abends aufbleiben, weil wir nachher weiter Spiele spielen - >Sardinen< und >Mord im Dunkeins sagt Tante Chas.« Ein wohliger Schauer überlief sie.
»Und am zweiten Feiertag findet die Jagd statt, und ich werde mit Daddy und Prue jagen. Nachher kommen alle Nachbarn zum Jagdfrühstück, nur ist es keines, sondern findet am Nachmittag statt, wenn alle zurück sind. Und dann wird Lord Duncan den Dienstboten ihre Weihnachtspäckchen geben.« Sie hielt inne und holte Atem, vermutlich zum ersten Mal nach Beginn dieses Wortschwalls. »Wegen der Päckchen heißt es Boxing Day.«
»Sarah ist so aufgeregt«, erklärte Mary überflüssigerweise. »Es ist ihr erstes richtiges Weihnachtsfest.«
»Wir hatten früher auch schon Weihnachten«, sagte Sarah nun ganz ernst und plötzlich viel weniger kindlich und überschwänglich. »Aber da waren immer nur Daddy und Mary und ich.« Sie sah lächelnd zu Mary auf. »Es war zwar auch schön, mit dir und Daddy, aber eine große Gesellschaft ist doch etwas ganz anderes, nicht? Eine richtige Familienfeier. All die Tanten und Gäste.« Sie deutete ausholend auf die versammelte Gästeschar.
»Ja, ein richtiges Familienfest«, gab Douglas ihr ernst Recht und verbarg ein Lächeln, als er merkte, dass es Mary Winston ebenfalls tat.
»Haben Sie schon Weihnachten in der Familie erlebt, Dr. Farrell?«, fragte nun Sarah.
»Sehr viele sogar. Du musst wissen, dass ich sechs Schwestern habe.«
»Sechs!« Sarahs Augen wurden groß. »Ältere oder jüngere?«
»Alle sind älter.«
»Erzählen Sie mir von ihnen«, verlangte Sarah energisch.
Mary Winston schaltete sich ein: »Du kannst Dr. Farrell nicht ständig mit Beschlag belegen, Sarah. Sicher wollen andere auch mit ihm plaudern.«
»Ach.« Sarah schaute um sich. »Ich sehe niemanden.«
Douglas ebenso wenig. Er hätte allerdings herzlich gern mit Chastity gesprochen. Je länger er damit wartete, die
Weitere Kostenlose Bücher