Im Bann der Leidenschaften
getroffen habe? Wie kommt er auf eine solche Frage? Misstraut er mir? Er hat allen Grund dazu, denke ich bitter. Aber vielleicht hat er Informationen von irgendwem, der mich erkannt hat.
Oh, Annie! Du siehst Gespenster! Wer zum Henker sollte dich in deiner Dornröschen-Verkleidung erkannt haben? Außerdem war Philippe liebevoll wie eh und je. Liebevoll und so arglos.
Ich schalte das Handy ab und vergrabe es in der untersten Schublade meines Nachttischs. Dann lösche ich das Licht und mummele mich in die große Daunendecke ein, die Philippe auf meinen Wunsch gekauft hat. Langsam weine ich mich einen unruhigen Schlaf. Dunkle Sonnenbrillen fliegen über ein leuchtend rotes Mohnfeld. Es werden immer mehr. Sie fliegen im Kreis, drehen sich immer schneller, bis sie schließlich wie ein Tornado über das Land wirbeln und die schönen Mohnblüten mit sich reißen. Plötzlich stehe ich auf dem Feld. Der Mohnblüten-Sonnenbrillen-Tornado erfasst mich. Ich strecke eine Hand nach Philippe aus, der wie aus dem Nichts auftaucht. Doch der Tornado reißt mich mit, während Philippe zurückbleibt. Ich versuche zu schreien, aber mein Mund bleibt stumm. Die Windhose, in der ich mich befinde, löst sich auf. Die Millionen von Sonnenbrillen verschmelzen zu einer einzigen schwarzen Brille und die Mohnblüten formieren sich zu einem riesigen, weichen Blütenbett. Mitten auf dem Blütenbett liege ich. Ich trage nur mein gammeliges Schlafshirt, mein Slip guckt unter dem Deckel eines Tretabfalleimers hervor. Der Abfalleimer verschwindet und aus dem Blütenbett erhebt sich ein Mann in schwarzer Lederjacke und schwarzen Jeans. Sein Gesicht beugt sich über meines. Er nimmt die Sonnenbrille ab und ich sehe in zwei schwarze Augen, versinke in ihnen und schreie vor Lust laut auf.
„Annie, Annie …“
Jemand greift meine Hand, eine andere Hand rüttelt an meiner Schulter.
„Alles ist gut, Annie.“
Ein weiches, nasses Tuch fährt über meine hitzige Stirn.
Ich blinzele. Es ist hell. Die Sonne knallt auf den Dachreiter. Die Wettervorhersage hat recht behalten. Einen Tag vor meiner Hochzeit kommt die Sonne heraus.
Jane sitzt auf der Kante meines Bettes und hält mir die Hand. Sie ist bereits geduscht und trägt eine frisch gebügelte weiße Bluse über ihrer Jeans. Ich forme die freie Hand zu einem Sonnenschild und führe sie über meine Augen.
„Du hast geträumt“, sagt Mary-Beth. Schlaftrunken drehe ich meinen Kopf. Mary-Beth sitzt am Fuß des Bettes. Auch sie ist fertig angezogen. Wie immer trägt sie Jeans und dazu ein unifarbenes T-Shirt. Sie lächelt mir liebevoll zu.
Hinter ihr betritt Mel das Zimmer. Sie sieht hübscher aus als sonst. Die roten Haare stehen ihr wirklich gut, genauso wie das grüne, eng anliegende Sommerkleid, das ich zum ersten Mal an ihr sehe. Es betont ihre schmale, hochgewachsene Figur fast so perfekt wie das Meerjungfrauenkostüm. Mel balanciert ein Tablett mit einem Teller voller frischer Croissants und vier großen Tassen darauf. Kaffeeduft erfüllt den Raum.
„Hoch mit dir“, ruft Mel fröhlich. „Mary-Beth hat bei eurem glatzköpfigen Kellner Croissants gekauft und ich habe soeben den allerersten Café au Lait meines Lebens gebraut. Das Rezept stammt von Jane. Wenn das Zeug nicht schmeckt, beschwer dich bei ihr. Mir mundet die hellbraune Brühe allerdings ganz hervorragend.“
Ich rappele mich aus der Liegeposition auf und lasse mich gegen das riesige, gesteppte Betthaupt fallen.
Jane lässt meine Hand los und Mel drückt mir einen Kaffee in die Hand. „Bon appétit.“
„Danke.“ Ich bin klatschnass geschwitzt und fühle mich wie gerädert. „Ich habe irgendwas von einem Mohnfeld und einem Tornado geträumt. Puh.“
„War es aufregend?“ Mel zwinkert mir verschlagen zu.
„Mel!“, ruft Jane in gespielt vorwurfsvollem Ton, während sie herzhaft in ein Croissant beißt.
Mary-Beth schüttelt den Kopf. „Es wird allerhöchste Zeit, dass Mel unter die Haube kommt. Oder wenigstens mal einen Kerl zwischen die Beine kriegt.“
„Mary-Beth!“ Jetzt klingt Jane ehrlich entrüstet.
„Ist doch wahr!“, knurrt Mary-Beth. „Oder hast du sie je mit einem Mann gesehen? Seit gestern allerdings liegt sie uns dauernd mit irgendwelchen pseudo-erotischen Anspielungen in den Ohren.“
„Du sagst es“, grinst Mel, „pseudo-erotisch.“
Ich verhalte mich ganz still, während die Drei munter über Mels angeblich nicht vorhandenes Sexleben frotzeln und darüber, dass gestern Abend keine von ihnen
Weitere Kostenlose Bücher