Im Bann der Liebe
beiden jetzt gut tun.
Sie kamen gerade von ihrer dritten Runde um den Block zurück, als Aubrey auf einem schwarzen Hengst vorritt.
»Meinst du nicht, es ist ein wenig zu kalt für einen Spaziergang?«, wollte er wissen, stieg vom Pferd und warf die Zügel einem wartenden Reitknecht zu.
»Sie ist eingepackt wie ein Eskimobaby«, wehrte Susannah sich unbeeindruckt. Sie glaubte fest an den Nutzen frischer Luft. »Warum sollte ich Ethans Gedichte lesen?«, wechselte sie unverzüglich das Thema. Sein Blick schweifte in die Ferne. »Weil er sie für Julia geschrieben hat.«
Susannah fühlte sich mit einem Mal sehr unwohl in ihrer Haut. Wenn Ethan sich doch als Schurke entpuppte, würde sie furchtbar enttäuscht sein. Wenn man sie fragte, würde sie sagen, nach dem, was sie jetzt über ihn wusste, dass die Verse für Su Lin geschrieben waren. »Ich habe fast alles gelesen, nie wurde ein Name erwähnt.«
»Sie hat das Buch in ihrem Nachttisch aufgehoben«, erläuterte Aubrey, als wenn sie nichts gesagt hätte. »An ihrem Todestag hat sie mich gebeten, ihr laut daraus vorzulesen. Romantisch, nicht wahr?«
»Aubrey ...«
Er trat zurück und sah ihr fest in die Augen. »Nein, Susannah, das sind Ethans Verse, und er hat sie für Julia geschrieben. Nichts, was du sagst, kann daran etwas ändern.« Damit wandte er sich um und ging ins Haus. Susannah sah ihm verzweifelt nach. Erst als Victoria zu weinen begann, schob sie den Wagen weiter, um ebenfalls hineinzugehen.
Mr. Hollister kam gerade rechtzeitig, um ihr zu helfen, die Stufen zum Eingang hochzukommen. Sie war erleichtert, als er nach Aubrey fragte, statt sie erneut einzuladen.
Sie nahm Victoria auf den Arm, um Zuflucht in Maisies beruhigender Nähe zu suchen.
7
Am nächsten Morgen erschien in einem großen Pulk eine Abordnung der Kirchenfrauen. Sie erinnerten an eine Eisenbahnwagenkette, die entschlossen der Lok folgt.
»Oh, Himmel«, hauchte Maisie, die beobachtete, wie sie durch den Schnee angestapft kamen. »Kommen Sie schnell«, zischte sie Susannah zu, die gerade am Klavier saß.
Noch ehe Maisie die Damen vorstellen konnte, wusste Susannah, wer sie waren. Ihre schwarzen Kleider, schwarzen Hauben und düsteren Gesichter verrieten alles. Jede trug eine Bibel unter dem Arm, und sie hatten ihre ernstesten Kirchengesichter aufgesetzt, ehe sie sich in das Haus der Sünde wagten.
»Ein Haufen prüder alter Krähen«, murmelte Maisie.
Susannah strich ihre Röcke glatt und fuhr sich über die Haare. »Lassen Sie sie bitte herein«, bat sie. »Ich werde sie im Wohnzimmer empfangen. Und machen Sie doch Tee, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Und wie mir das was ausmacht«, gab Maisie zurück, »aber für Sie mache ich es trotzdem. Auch wenn ich nicht verstehe, warum. Die alten Weiber sind sicher nicht gekommen, um Sie in der Stadt willkommen zu heißen. Sie wollen herausfinden, ob Sie die neue Mätresse vom Boss sind.«
Susannah seufzte, als es an der Tür klingelte. »Ich weiß.«
Dann machte sie sich so würdevoll wie möglich auf, um ihre grimmigen Gäste in Empfang zu nehmen. Wären die Umstände andere gewesen, hätte ihr der Verdacht der Damen sogar geschmeichelt. Sie war nicht allzu welterfahren, doch sie wusste, dass nicht einmal eine Frau wie Delphinia Parker es gewagt hätte, öffentlich mit einem Mann zusammenzuleben, mit dem sie nicht verheiratet war. Die guten Frauen verstanden sich als Hüterinnen der Moral in Seattle, zumindest in dem Teil, den sie überblickten.
Sie waren zu sechst, und nicht eine lächelte, als Susannah sie freundlich willkommen hieß und das Feuer im Kamin des Wohnzimmers schürte.
»Ich«, begann ihre Anführerin, »bin Mrs. Charles Fielding Shimclad, Präsidentin des christlichen Wohltätigkeitsverbandes. Ich glaube, Sie haben unseren Pastor, Reverend Johnstone, schon kennen gelernt und sogar am Gottesdienst teilgenommen.« Ein leichter Unterton von Kritik schwang in der Stimme der Dame mit, als wenn sie glaubte, dass Susannah damit schon die Grenzen des Anstandes überschritten hätte.
Susannah erinnerte sich an die Frauen, sie waren allesamt bei Victorias Taufe anwesend gewesen, sagte aber nichts. »Susannah McKittrick«, stellte sie sich mit einem leichten Nicken vor. »Julia - Mrs. Fairgrieve - war meine Schulkameradin und Freundin. Wollen Sie sich nicht setzen? Maisie wird in ein paar Minuten den Tee servieren.«
Die Damen des Wohltätigkeitskomitees, die durch die eisige Morgenluft marschiert waren, brachten
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