Im Bann der Liebe
denken sollen, ehe du meinen Bruder zu einer blutigen Masse hast zusammenschlagen lassen«, erwiderte Ethan und öffnete eine der Schranktüren in der Kabine. Ohne hinzusehen, was es war, riss er ein Kleidungsstück hervor und warf es ihr hin. »Zieh dich an, oder ich bringe dich in dem dünnen Fähnchen, das du gerade anhast, zur Polizei.«
Sie nickte in Richtung eines Paravents. »Na gut, wenn du darauf bestehst. Aber ich will nicht, dass du mir dabei zusiehst.«
Ihr plötzliches Nachgeben hätte ihn misstrauisch machen sollen, aber seine Gedanken waren woanders, bei Aubrey, Susannah und dem Baby. Sie trat hinter den Schirm, und als sie gleich darauf wieder hervorkam, hielt sie eine Pistole in der Hand.
Ethan spürte, wie die Kugel ihn traf, als er vorwärts stolperte, die Pistole ergriff und sie ihr aus der Hand riss. Er lehnte an der Wand, eine Hand an die Seite gepresst, als zwei Männer hereingelaufen kamen. Als er sie sah, erlaubte er es sich, ohnmächtig zu werden.
»Ethan ist im Gefängnis?«, rief Susannah ungläubig. Maisie nickte entsetzt. Sie hatte geschworen, Aubrey nicht von der Seite zu weichen, und sie hatte ihr Wort gehalten, allen Bitten und Protesten ihrer Freundin zum Trotz.
Maisie nickte. »Und angeschossen ist er auch noch. Er hat viel Blut verloren, aber ich denke, die Verletzung ist nicht allzu schlimm.«
Susannah spürte Übelkeit aufsteigen. Erst Aubrey, jetzt Ethan. Sie konnte das Gefühl nicht absc hütteln, dass sie den Fairgrie ve-Brüdern Unglück gebracht hatte, auch wenn sie normalerweise kein abergläubischer Mensch war. »W-was ist passiert?«
»Laut Hawkins - er hat die Nachricht gebracht - behauptet diese Parker, Ethan hätte sie an Bord eines der Dampfer unten im Hafen vergewaltigen wollen. Sie behauptet, sie hätte in Notwehr auf ihn geschossen.« Maisie schnaubte verächtlich.
»Unsinn«, erwiderte Susannah , »so etwas würde Ethan nie tun. Wahrscheinlich hat er eine Verbindung von ihr zu der Tat, die an Aubrey begangen wurde, gefunden.« Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, sie wünschte, sie könnte mehr tun, als nur neben ihm zu sitzen und seine Hand zu halten, zu beten und zu hoffen.
»Wir wissen das«, stimmte Maisie ihr zu, »aber bei der Polizei bin ich da nicht so sicher. Die Leute hier sehen Ethan als eine Art Unruhestifter an.«
»Warum?«, fragte Susannah ehrlich verblüfft. Ihr gegenüber hatte er sich stets wie ein Gentleman verhalten.
»Als Junge hatte er mal Ä rger, nicht schlimmer als die meisten. Und dann war da doch dieses chinesische Mädchen. Er wollte sie heiraten, und das war für viele Leute Grund genug, sich von ihm abzuwenden.«
»Aber das ist lächerlich«, wandte Susannah ein.
Maisie zuckte die Achseln. »Sei dem, wie es wolle, so sind die Leute nun mal. Noch schlimmer als ihre Trennung wäre es gewesen, wenn sie zusammengeblieben wären.«
Susannah hatte die ganze Zeit schon den Verdacht gehabt, dass Maisie mehr wusste, als sie zugeben wollte, jetzt hatte sie den Beweis, was ein gewisser Trost in der Situation war, in der sie sich jetzt befanden. »Was genau ist passiert? Ethan hat die Geschichte vor einiger Zeit mir gegenüber kurz erwähnt.«
»Ihre Familie hat sie nach China zurückgeschickt«, flüsterte Maisie. »Ich denke, sie hat da drüben einen anderen geheiratet. Sie hat nie mehr ein Wort von sich hören lassen.«
»Oh, Maisie.«
»Seitdem ist Ethan nicht mehr derselbe«, fuhr Maisie fort und sah Aubrey voller Kummer an. »Keiner von beiden hat im Leben viel Glück gehabt, weder Ethan noch Aubrey.«
Susannah sah zu, wie die Frau die Vorhänge zuzog, um die Schatten zu vertreiben. »Und dann kam Julia.«
»Ja, Susannah«, bestätigte Maisie vorsichtig. »Dann kam Julia.«
Das Thema lag wie ein großes, schweigendes Geheimnis zwischen ihnen, das keine der beiden ansprechen wollte.
»Was wird mit Ethan passieren?« fragte Susannah schließlich.
»Hawkins wird ihm einen Anwalt besorgen«, erwiderte Maisie. »Ich hoffe, damit hat er mehr Glück als mit dem Arzt.«
Allein in seiner Zelle, einen sauberen Verband unter dem Hemd, lag Ethan auf der Pritsche. Der Arzt - ein anderer als Sutherfield - hatte ihm nach der Behandlung der Wunde eine Flasche Whisky zugesteckt, von der er ab und zu einen Schluck nahm. Leider trug der Alkohol wenig dazu bei, den pochenden Schmerz in seiner Seite zu lindern, aber wenigstens hatte er etwas zu tun. Ohne das Zeug hätte er sich wahrscheinlich gegen die Gitter geworfen und wie ein
Weitere Kostenlose Bücher