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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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ruhigen, fast schläfrigen Vormittage, in denen der Hausherr in seinem Arbeitszimmer hockte. Nur das Kichern der Dienstmädchen, die durch die Gänge huschten, um die Zimmer zu reinigen, die Ankunft eines Lieferanten aus dem Dorf oder eines reitenden Boten, der die Post brachte oder holte, unterbrach dann die eintönige Stille. Aber im Herbst und Winter – so hatte Pascal ihm berichtet, mit dem er ab und zu den einen oder anderen Ausflug machte – erwachte dieses Schloss zu neuem Leben. Und darauf freute Marcel sich. Jetzt sollte ihm zu Ehren sogar ein Ball stattfinden. Der erste Ball seines jungen Lebens! Er konnte sich wahrlich nicht beklagen. Der Marquis hatte für seine maßgeschneiderte Garderobe ebenso gesorgt wie für sein leibliches Wohlergehen. Nicht, dass er zugenommen hatte, trotz des guten Essens, das er im Speisesaal meist allein zu sich nahm. Dagegen halfen schon die zahlreichen sportlichen Betätigungen. Außer den Ritten über die Ländereien vertrieb Marcel sich die Zeit mit seinem Fechten und anderen körperlichen Ertüchtigungen wie dem Schwimmen im nahe gelegenen See. Er war ein durchtrainierter junger Mann geworden. Und das weibliche Personal schenkte ihm gerne den einen oder anderen lockenden Blick oder ein Lächeln, wenn er vorüber ging. Sein exotisches Aussehen tat ein Übriges. Auch dem Marquis selbst fiel es schwer, der Attraktivität dieses jungen Mannes zu widerstehen. Marcel schien all das gar nicht zu bemerken, und Julien de Montespan hoffte, dass er auf besagtem Ball die Neigungen seines Schützlings näher erkunden konnte. Eine Menge hochgestellter Persönlichkeiten war geladen, darunter auch seine Schwägerin, die bei Hofe weilte. Sie hatte er vor kurzem um einen ganz besonderen Dienst ersucht. Aber er wusste auch, dass Francoise-Athénais nichts uneigennützig tun würde. Natürlich würden außer ihr noch eine ganze Reihe von jungen und reichen Damen in kostbaren Roben erscheinen. So waren die Erwartungen des Marquis doch ganz andere als die Vorfreude von Marcel auf seinen ersten Ball.
    Julien bot dem jungen Saint-Jacques ein paar Nachhilfestunden im Tanz an, um dessen Kenntnisse aufzufrischen. Er bestellte einige Musikanten aus dem Dorf waren an den kommenden Abenden und diese spielten nach dem Abendessen im Bankettsaal auf. Der Tanzlehrer seiner Halbschwester hatte Marcel als kleinen Jungen in die Grundlagen des höfischen Reigentanzes eingeweiht, daher war er es gewohnt mit einem Mann zu tanzen, obwohl ihm die teilweise affektierten Bewegungen übertrieben vorkamen und er das eine oder andere Mal in ein Lachen ausbrach, in das auch der Marquis einstimmte. Die herzerfrischende Offenheit des Jungen erheiterte und belebte sein Dasein. Jedes Mal, wenn seine kühle Hand die des Jungen ergriff, spürte er dessen warmes, lebendiges Blut in den Fingerspitzen pulsieren. Es erregte ihn ebenso wie Marcels grazile Bewegungen zu der Melodie der Flöten und Geigen. Er genoss diese Augenblicke, in denen er seinem Schützling so nahe kommen durfte.
     
    Der große Tag war gekommen. Am Morgen hatte der Marquis dem Geburtstagskind bereits ein außergewöhnliches Geschenk gemacht. Er bestellte einen der Hofmaler des Königs zu seinem Schloss, um ein Bildnis von Marcel Saint-Jacques anzufertigen. Dieser war mitsamt Leinwand und Staffelage an diesem Tage aus Paris angereist, um eine erste Skizze anzufertigen. Er würde in den nächsten Wochen hier verweilen, um sein Gemälde fertig zu stellen. Auf den Jungen kam ein tagelanges Modellsitzen zu, dennoch freute er sich über diese Ehre, die der Marquis ihm zuteil werden ließ. Während der Maler und Marcel das Portrait besprachen, herrschte im Schloss ein geschäftiges Treiben. Die Dienerschaft war mit den Vorbereitungen für die Speisen ebenso beschäftigt wie der Schneider mit der letzten Anprobe eines neuen Justaucorps aus dunkelblauem Moiré mit floraler Seidenstickerei und bestickten Knöpfen für den Marquis, der dies geduldig in der Bibliothek über sich ergehen ließ. Für den Schneider eine wahrlich schweißtreibende Angelegenheit. Dessen Gehilfen wuselten um ihn herum, zupften da und dort eine Falte zurecht, steckten ab und nähten die letzten Knöpfe und Paspel an. Es herrschte Ausnahmezustand bis am Nachmittag die ersten Kutschen mit den Gästen eintrafen, die einer nach dem anderen in der Halle vom Marquis und seinem Mündel begrüßt wurden. Einen besonderen Auftritt hatte an diesem Abend Madame de Montespan, die nach dem Ablegen ihres

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